Wilhelm Busch

Der geschlagene Fels

 

„Mose hob seine Hand auf und schlug den Fels mit dem Stab zweimal. Da ging viel Wasser heraus, dass die Gemeinde trank und ihr Vieh."                                                    

4. Mose 20, 11

 

Zu dem Köstlichsten, was der geistvolle Dichter Matthias Claudius geschrieben hat, gehören seine Briefe an einen fingierten Freund Andres. Da heißt es einmal:

„Besinnst du dich noch unsrer ersten Schifffahrt, als wir den neuen Kahn probierten und ich mitten auf dem Wasser herausfiel? — Ich hatte schon alles aufgegeben... da sah ich deinen ausgestreckten Arm herkommen und hakte an... — Und nun ein Erretter aus aller Not, von allem Übel! Ein Erlöser vom Bösen! ...Andres, hast du je was Ähnliches gehört, und fallen dir nicht die Hände am Leibe nieder?..."

Diesen Brief beginnt er mit den Worten: „Du möchtest gern mehr von unserm Herrn Jesus wissen. — — Andres! Wer möchte das nicht?"

Nun, ich fürchte, dass es sehr, sehr viele gibt, denen gar nichts daran liegt, mehr zu hören von diesem Erlöser, weil ihr Gewissen erstickt ist „in den Sorgen dieser Welt und im betrüglichen Reichtum und in vielen andern Lüsten" (Markus 4, 19).

Wie steht es mit uns? Ich wünsche uns ein heiliges Verlangen und möchte, dass auch durch diese Auslegung viel Licht auf Jesus falle.

 

 

Christus – der geschlagene Fels

 

1. Jesus — der Fels

Unser Text führt uns in die Zeit, als die Gemeinde des Alten Bundes aus der Knechtschaft in Ägypten auszog und vom Herrn selbst durch die Wüste nach Kanaan geleitet wurde.

Bei dieser Wüstenwanderung spielte ein Fels eine seltsame und be­deutende Rolle. Denn zweimal gab er dem verdurstenden Volke Wasser. Dieser Fels ist so wichtig, dass der Apostel Paulus in 1. Korinther 10, 4 auf ihn zu sprechen kommt. Da sagt er: „Sie tranken von dem geistlichen Fels, der mitfolgte, welcher war Christus." Bis zum heu­tigen Tage begleitet dieser Fels die Gemeinde auf ihrer Wanderung durch die Wüste dieser Welt. Und fröhlich singt das Volk Gottes: „Wir haben einen Felsen...!"

Jesus Christus — der Fels. Es kann sein, dass gerade dieses Bild nicht mehr einleuchtet. Denn ein Fels ist doch etwas Starres, Hartes. Und wir sind von Kind auf gelehrt worden, dass Jesus unendlich linde, weich und barmherzig ist.

Und doch — im Lied Moses (5. Mose 32, 4) heißt es auch: „Er ist ein Fels." Und Christus selbst sagt Jesaja 50, 7: „Ich habe mein Angesicht dargeboten wie einen Kieselstein."

Gerade diese Stelle lehrt uns verstehen, wieso Jesus ein Fels ist: Nichts konnte Ihn aus der Bahn bringen. Ihr kennt doch die Ver­suchungsgeschichte. Wie hat da der Teufel versucht, Jesus von Sei­nem Weg fortzulocken! Aber der Fels stand fest. — Als der Heiland von Seinem Leiden sprach, wehrte Petrus Ihm: „Das widerfahre dir nur nicht." Aber auch dieser liebe Jünger konnte den Heiland nicht aus der Bahn bringen. — Und gar Gethsemane! Da wollte Seine eigene Natur Ihn überwinden. Aber der Fels blieb fest. Wir haben alle schon Kompromisse mit der Welt gemacht — gegen unsere Ober­zeugung und gegen das Gewissen. Der einzige, der kompromisslos Seinen Weg, oder vielmehr Gottes Weg ging, ist Jesus. Weder die öffentliche Meinung noch Zustimmung noch Hass noch Vorteil konn­ten Ihn beeinflussen. Und darum ist Er der Fels.

Er ist der Fels, der auch mitten in unserem Wege steht. Darum gibt es nur zweierlei: Entweder man scheitert an Ihm oder — man erbaut sich auf Ihm und findet so ewigen Grund.

 

2. Jesus — der geschlagene Fels

Nun muss ich die Geschichte erzählen, aus der unser Text stammt. Als die Kinder Israel durch die Wüste zogen, kamen sie eines Tages wieder in schreckliche Not. Es war kein Wasser vorhanden. Durst ist furchtbar. So können wir verstehen, dass die Gemeinde murrte: „Ach, dass der Herr uns doch umgebracht hätte!"

Und doch, dieses Murren war ein Misstrauensvotum gegen Gott. War Er denn nicht mehr da? Hatte Er je versagt? Zog Er denn nicht mit, „des Tages in der Wolkensäule und des Nachts in der Feuersäule"? War denn Gott alt und schwach geworden, dass Er nicht mehr helfen konnte?

Mose erschrickt, als er das gottlose Murren hört, und wirft sich vor lern Herrn zu Boden. Und da gibt ihm der Herr den klaren Befehl: »Versammle die Gemeinde um den Felsen! Und dann sollt ihr, dein Bruder Aaron und du, mit dem Felsen reden. So wird er euch Was­ser geben."

Ein wildes Bild: Die murrende, erregte Gemeinde. In ihre Mitte tritt Mose. Auch er verliert nun die Fassung. Wie lange soll er sich denn noch mit diesem widerspenstigen Volke plagen! Und warum auch führt Gott sie von einer Not in die andere!

Er sieht, wie wilde, böse Augen auf ihn starren. Da ergreift er seinen Stab und ruft erregt: „Höret, ihr Ungehorsamen, werden wir euch auch Wasser bringen aus diesem Fels?" Und nun schlägt er zweimal wild auf den Fels ein.

Paulus sagt: „Der Fels ist Christus." In der Tat, Er ist der geschla­gene Fels. Ich möchte Ihn dir vor die Augen malen: Dort hängt Er am Kreuz. Sieh die Striemen der Geißelung! Sieh die Dornenkrone, die durchbohrten Hände! Drängt sich dir nicht die Frage auf die Lip­pen: „Wer hat dich so geschlagen, / mein Heil, und dich mit Plagen / so übel zugericht't?" Auf diese Frage gibt Paul Gerhardt dir im sel­ben Lied die Antwort: „Ich, ich und meine Sünden, / die sich wie Körnlein finden / des Sandes an dem Meer, / die haben dir erreget / das Elend, das dich schlaget, / und das betrübte Marterheer." Es scheint mir die wichtigste Entdeckung für ein Menschenleben zu sein, wenn man diese Beziehung zwischen sich selbst und Jesu Kreuz herstellt: „Ich habe Ihn geschlagen."

Diese Erkenntnis hat schon David gehabt, als er sagte: „An dir allein habe ich gesündigt." Wohl kann kein Mensch es mir zeigen — aber Gottes Geist kann es mir im Gewissen aufdecken, dass meine Sünde Jesus ans Kreuz brachte. Und dies ist die wichtigste Entdeckung meines Lebens.

Vielleicht begehrt deine Vernunft auf und sagt: „Das ist doch Un­sinn! Weder ich noch Mose können Jesus geschlagen haben. Denn zu Moses Zeiten war Jesus noch gar nicht in der Welt. Und ich lebe 2000 Jahre nach Seiner Kreuzigung." — Ich antworte dir: Das Kreuz steht jenseits der Zeit.

 

3. Der geschlagene Fels gibt Wasser

Ich muss euch die Wüstengeschichte zu Ende berichten. Als Mose den

Fels geschlagen hatte, „da ging viel Wasser heraus".

Ich habe im Geist diesen Augenblick gesehen:  Beim Anblick des

Wassers veränderten sich die Gesichter. Wo vorher Verzweiflung

herrschte, war nun Freude. Wie drängten sie herzu! Da lief einer durchs Lager und rief es denen zu, die es noch nicht wussten: „Was­ser ist da!"

So möchte ich es auch machen: Ich sehe die Verzweifelten in meinem Volke, die sich von Gott verlassen wähnen. Ich möchte ihnen allen zurufen: Kommt zu Jesu Kreuz! Dort ist Wasser des ewigen Lebens!

Es gibt ein Bild von W. Steinhausen zu diesem Vorgang in der Wüste. Da sieht man nichts als die Quelle und davor ein junges Weib, das mit unendlichem Verlangen eine Schale hinhält und das Wasser auffängt.

O dass dies ein Bild unsrer Seele wäre, die ja nach Jesus dürstet, auch wenn wir es nicht wissen: Der geschlagene Fels — Jesus — gibt unsrer Seele Frieden und Trost und Leben.

Der schwäbische Dichter Hiller mahnt uns: „Trink, ausgezehrte Seele, / dich dieses Wassers satt; / du folgest dem Befehle / des, der das Leben hat. / Es quillt aus dessen Seite, / den man am Kreuz verwund't. / Drum trink auch du noch heute, / du trinkst dich ganz ge­sund."

Es ließ sich noch viel dazu sagen. Eines scheint mir noch besonders wichtig: Wasser wird nicht nur getrunken. Es dient auch zur Reini­gung. Das ist wohl das Größte, was von dem geschlagenen Felsen zu sagen ist: „Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde."