„Mose hob seine Hand auf und schlug den Fels mit dem Stab
zweimal. Da ging viel Wasser heraus, dass die Gemeinde trank und ihr
Vieh."
4. Mose 20, 11
Zu dem Köstlichsten, was der geistvolle Dichter Matthias
Claudius geschrieben hat, gehören seine Briefe an einen fingierten Freund
Andres. Da heißt es einmal:
„Besinnst du dich noch unsrer ersten Schifffahrt, als wir
den neuen Kahn probierten und ich mitten auf dem Wasser herausfiel? — Ich hatte
schon alles aufgegeben... da sah ich deinen ausgestreckten Arm herkommen und
hakte an... — Und nun ein Erretter aus aller Not, von allem Übel! Ein Erlöser
vom Bösen! ...Andres, hast du je was Ähnliches gehört, und fallen dir nicht die
Hände am Leibe nieder?..."
Diesen Brief beginnt er mit den Worten: „Du möchtest gern
mehr von unserm Herrn Jesus wissen. — — Andres! Wer möchte das nicht?"
Nun, ich fürchte, dass es sehr, sehr viele gibt, denen gar
nichts daran liegt, mehr zu hören von diesem Erlöser, weil ihr Gewissen
erstickt ist „in den Sorgen dieser Welt und im betrüglichen Reichtum und in
vielen andern Lüsten" (Markus 4, 19).
Wie steht es mit uns? Ich wünsche uns ein heiliges Verlangen
und möchte, dass auch durch diese Auslegung viel Licht auf Jesus falle.
1. Jesus — der Fels
Unser Text führt uns in die Zeit, als die Gemeinde des Alten
Bundes aus der Knechtschaft in Ägypten auszog und vom Herrn selbst durch die
Wüste nach Kanaan geleitet wurde.
Bei dieser Wüstenwanderung spielte ein Fels eine seltsame
und bedeutende Rolle. Denn zweimal gab er dem verdurstenden Volke Wasser.
Dieser Fels ist so wichtig, dass der Apostel Paulus in 1. Korinther 10, 4 auf
ihn zu sprechen kommt. Da sagt er: „Sie tranken von dem geistlichen Fels, der
mitfolgte, welcher war Christus." Bis zum heutigen Tage begleitet dieser
Fels die Gemeinde auf ihrer Wanderung durch die Wüste dieser Welt. Und fröhlich
singt das Volk Gottes: „Wir haben einen Felsen...!"
Jesus Christus — der Fels. Es kann sein, dass gerade dieses
Bild nicht mehr einleuchtet. Denn ein Fels ist doch etwas Starres, Hartes. Und
wir sind von Kind auf gelehrt worden, dass Jesus unendlich linde, weich und
barmherzig ist.
Und doch — im Lied Moses (5. Mose 32, 4) heißt es auch: „Er
ist ein Fels." Und Christus selbst sagt Jesaja 50, 7: „Ich habe mein
Angesicht dargeboten wie einen Kieselstein."
Gerade diese Stelle lehrt uns verstehen, wieso Jesus ein
Fels ist: Nichts konnte Ihn aus der Bahn bringen. Ihr kennt doch die Versuchungsgeschichte.
Wie hat da der Teufel versucht, Jesus von Seinem Weg fortzulocken! Aber der
Fels stand fest. — Als der Heiland von Seinem Leiden sprach, wehrte Petrus Ihm:
„Das widerfahre dir nur nicht." Aber auch dieser liebe Jünger konnte den
Heiland nicht aus der Bahn bringen. — Und gar Gethsemane! Da wollte Seine
eigene Natur Ihn überwinden. Aber der Fels blieb fest. Wir haben alle schon
Kompromisse mit der Welt gemacht — gegen unsere Oberzeugung und gegen das
Gewissen. Der einzige, der kompromisslos Seinen Weg, oder vielmehr Gottes Weg
ging, ist Jesus. Weder die öffentliche Meinung noch Zustimmung noch Hass noch
Vorteil konnten Ihn beeinflussen. Und darum ist Er der Fels.
Er ist der Fels, der auch mitten in unserem Wege steht.
Darum gibt es nur zweierlei: Entweder man scheitert an Ihm oder — man erbaut
sich auf Ihm und findet so ewigen Grund.
2. Jesus — der geschlagene Fels
Nun muss ich die Geschichte erzählen, aus der unser Text
stammt. Als die Kinder Israel durch die Wüste zogen, kamen sie eines Tages
wieder in schreckliche Not. Es war kein Wasser vorhanden. Durst ist furchtbar.
So können wir verstehen, dass die Gemeinde murrte: „Ach, dass der Herr uns doch
umgebracht hätte!"
Und doch, dieses Murren war ein Misstrauensvotum gegen Gott.
War Er denn nicht mehr da? Hatte Er je versagt? Zog Er denn nicht mit, „des
Tages in der Wolkensäule und des Nachts in der Feuersäule"? War denn Gott
alt und schwach geworden, dass Er nicht mehr helfen konnte?
Mose erschrickt, als er das gottlose Murren hört, und wirft
sich vor lern Herrn zu Boden. Und da gibt ihm der Herr den klaren Befehl:
»Versammle die Gemeinde um den Felsen! Und dann sollt ihr, dein Bruder
Aaron und du, mit dem Felsen reden. So wird er euch Wasser geben."
Ein wildes Bild: Die murrende, erregte Gemeinde. In ihre
Mitte tritt Mose. Auch er verliert nun die Fassung. Wie lange soll er sich denn
noch mit diesem widerspenstigen Volke plagen! Und warum auch führt Gott sie von
einer Not in die andere!
Er sieht, wie wilde, böse Augen auf ihn starren. Da ergreift
er seinen Stab und ruft erregt: „Höret, ihr Ungehorsamen, werden wir euch auch
Wasser bringen aus diesem Fels?" Und nun schlägt er zweimal wild auf den
Fels ein.
Paulus sagt: „Der Fels ist Christus." In der Tat, Er
ist der geschlagene Fels. Ich möchte Ihn dir vor die Augen malen: Dort hängt
Er am Kreuz. Sieh die Striemen der Geißelung! Sieh die Dornenkrone, die
durchbohrten Hände! Drängt sich dir nicht die Frage auf die Lippen: „Wer hat
dich so geschlagen, / mein Heil, und dich mit Plagen / so übel
zugericht't?" Auf diese Frage gibt Paul Gerhardt dir im selben Lied die
Antwort: „Ich, ich und meine Sünden, / die sich wie Körnlein finden / des
Sandes an dem Meer, / die haben dir erreget / das Elend, das dich schlaget, /
und das betrübte Marterheer." Es scheint mir die wichtigste Entdeckung für
ein Menschenleben zu sein, wenn man diese Beziehung zwischen sich selbst und
Jesu Kreuz herstellt: „Ich habe Ihn geschlagen."
Diese Erkenntnis hat schon David gehabt, als er sagte: „An
dir allein habe ich gesündigt." Wohl kann kein Mensch es mir zeigen — aber
Gottes Geist kann es mir im Gewissen aufdecken, dass meine Sünde Jesus ans
Kreuz brachte. Und dies ist die wichtigste Entdeckung meines Lebens.
Vielleicht begehrt deine Vernunft auf und sagt: „Das ist doch
Unsinn! Weder ich noch Mose können Jesus geschlagen haben. Denn zu Moses
Zeiten war Jesus noch gar nicht in der Welt. Und ich lebe 2000 Jahre nach
Seiner Kreuzigung." — Ich antworte dir: Das Kreuz steht jenseits der Zeit.
3. Der geschlagene Fels gibt Wasser
Ich muss euch die Wüstengeschichte zu Ende berichten. Als
Mose den
Fels geschlagen hatte, „da ging viel Wasser heraus".
Ich habe im Geist diesen Augenblick gesehen: Beim Anblick des
Wassers veränderten sich die Gesichter. Wo vorher
Verzweiflung
herrschte, war nun Freude. Wie drängten sie herzu! Da lief
einer durchs Lager und rief es denen zu, die es noch nicht wussten: „Wasser
ist da!"
So möchte ich es
auch machen: Ich sehe die Verzweifelten in meinem Volke, die sich von Gott
verlassen wähnen. Ich möchte ihnen allen zurufen: Kommt zu Jesu Kreuz! Dort ist
Wasser des ewigen Lebens!
Es gibt ein Bild von W. Steinhausen zu diesem Vorgang in der
Wüste. Da sieht man nichts als die Quelle und davor ein junges Weib, das mit
unendlichem Verlangen eine Schale hinhält und das Wasser auffängt.
O dass dies ein Bild unsrer Seele wäre, die ja nach Jesus
dürstet, auch wenn wir es nicht wissen: Der geschlagene Fels — Jesus — gibt
unsrer Seele Frieden und Trost und Leben.
Der schwäbische Dichter Hiller mahnt uns: „Trink,
ausgezehrte Seele, / dich dieses Wassers satt; / du folgest dem Befehle / des,
der das Leben hat. / Es quillt aus dessen Seite, / den man am Kreuz verwund't.
/ Drum trink auch du noch heute, / du trinkst dich ganz gesund."
Es ließ sich noch viel dazu sagen. Eines scheint mir noch besonders wichtig: Wasser wird nicht nur getrunken. Es dient auch zur Reinigung. Das ist wohl das Größte, was von dem geschlagenen Felsen zu sagen ist: „Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde."