„Gott hat Christus vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch
den Glauben in seinem Blut."
Römer 3, 25
Auf einer meiner Fahrten sah ich irgendwo eine zerstörte
Kirche. Eingestürzt waren die Mauern, verbrannt Orgel und Altäre. Nur ein
riesiges Steinkruzifix überragte die Trümmer. Es geht einem ja manchmal so,
dass man ein Bild flüchtig aufnimmt. Und erst später merkt man, dass es sich im
Bewusstsein festgesetzt und als bedeutsam erwiesen hat.
So ging es mir mit diesem Kreuzesbild über den Trümmern.
Welch ein großartiges Symbol ist das! Die ganze Erde ist ja im Grunde ein
großes Trümmerfeld. Wie viel Kulturen, Städte, Länder und Völker sind
untergegangen! Wie viel Firmen, die einst einen großen Namen hatten, haben
ihren Bankrott erlebt! Wie viel Weltanschauungen und Religionen, die einst die
Menschen fanatisch hoffen und glauben hießen, sind verschwunden, zertrümmert,
vergangen! Aber über den Trümmern ragt unversehrt das Kreuz Christi als das
einzige Heilszeichen. Gott schenke uns einen hellen Blick auf dies Kreuz! Wir
lassen es uns wieder deuten durch eines der Vorbilder, die wir im Alten
Testament finden.
1. Der Mittelpunkt der Gemeinde
Welch packende Bilder hat doch die Bibel! Wenn sie z. B. das
Wesen der Kinder dieser Welt ohne Gott darstellen will, spricht sie von ihnen
als von „Schafen, die verirrt und auf den Bergen zerstreut sind".
Wenn sie aber die Gemeinde des Herrn schildern will, zeigt
sie ein ganz anderes Bild: Israel zieht aus Ägypten, errettet durch eine gewaltige
Tat Gottes. Es zieht wohl durch eine schreckliche Wüste, bedroht von tausend
Nöten und Gefahren. Aber der Herr selbst geht mit in der Wolkensäule. Und vor
dem Volk Gottes leuchtet das Ziel, das herrliche Kanaan.
Ich weiß kein schöneres Bild für die Gemeinde Jesu auch in
unsern Tagen.
In 4. Mose 24 wird uns erzählt, wie der moabitische König
Balak mit großem Gefolge auf dem Berge Peor steht und auf Israels Lager
hinabsieht.
Was stellte sich seinen Augen dar? Er sah die Stämme
Israels, gelagert im Kreis um einen Mittelpunkt. Dieser Mittelpunkt war ein
großes Zelt, ein transportabler Tempel, die „Stiftshütte". Schneeweiße
Leinwand umschloss einen weiten Vorhof. Große Vorhänge führten in die
leuchtende Pracht des Heiligtums. Jeder Israelit aber wusste, was Balak nicht
sah, dass der eigentliche Mittelpunkt im „Allerheiligsten" war. Hier stand
die Bundeslade, ein länglicher Kasten, den ein massiv-goldener Deckel zudeckte.
Auf dieser Platte erhoben sich zwei gewaltige goldene Engelgestalten. Dieser
goldene Deckel hieß der „Gnadenstuhl". Hier war Gott gegenwärtig unter
Seinem Volke.
Wenn sie zogen, dann wurde die Bundeslade von Priestern an
Stangen getragen. Hoch ragte inmitten des Volkes der Gnadenstuhl. Wenn sie
sich lagerten, bauten sie ihre Zelte um diesen Gnadenstuhl auf.
Nicht der gewaltige Führer Mose hielt das Volk zusammen. Es
waren auch nicht die gemeinsamen Interessen, welche die Leute verbanden. Der
Gnadenstuhl war der Mittelpunkt, um den Israel sich sammelte.
Das heißt: Die Gemeinde des Neuen Bundes lagert sich um das
Kreuz. Das Kreuz hält die Gemeinde zusammen. Das Kreuz ist ihr Panier.
Das ist eigentlich verwunderlich und der Vernunft unfassbar.
Die Vernunft sagt: „Das Kreuz Jesu ist doch eine einmalige geschichtliche
Tatsache. Es ist längst vermodert." Der Glaube aber weiß: Dieses Kreuz hat
eine überzeitliche Gegenwärtigkeit. Und wo rechte Christen sind, sind sie um
das Kreuz gelagert.
2. Die Wohnung Gottes unter Menschenkindern
Wir müssen die Frage aufwerfen: Wo wohnt Gott? Ein schlichtes
Gemüt zeigt auf eine Kirche und sagt: „Das ist Gottes Haus." Wenn es so
ist, kann man am Sonntag Gott in Seinem Hause besuchen und dann in sein eigenes
Haus zurückkehren und eine Woche lang gottlos leben. Da stimmt doch etwas
nicht. Ich kannte einen Mann, der war ein großer Jäger. Über seinem
Schreibtisch hing ein Wandspruch, der hatte etwa folgenden Inhalt: „Nicht in
dumpfen Kirchenhallen kann ich Gott begegnen. Nein, der Waldesdom ist Seine
herrliche, weite Wohnung." Das klang ja ganz nett. Aber ich habe mich doch
immer darüber gewundert, dass der Mann sich in seinem Gotteshaus damit
vergnügte, Gottes Kreaturen totzuschießen. Da stimmt doch auch etwas nicht!
Wo wohnt Gott? Salomo betete: „Aller Himmel Himmel vermögen
dich nicht zu fassen." Das ist die Wahrheit! Es gibt eine hübsche
Anekdote: Ein Spötter traf ein Kind. „Was machts du?" fragte er. Das Kind
antwortete: „Ich denke über Gott nach." Da zog der Atheist einen Apfel
heraus: „Den bekommst du, wenn du mir sagst, wo Gott ist." Da zog das Kind
zwei Äpfel heraus: „Die bekommst du, wenn du mir sagst, wo Gott nicht
ist." Ein kluges Kind!
Aber diese Allgegenwart verbirgt uns auch wieder Gott. Wo
können wir Ihn fassen? Wo in Sein Herz und Angesicht sehen? Wo können wir
Seine Hand ergreifen? So muss der fragen, dem es ernstlich um Gott zu tun ist.
Die Gemeinde in der Wüste wusste es: Dort ist der
Gnadenstuhl. Es hat Gott in Seiner Herablassung gefallen, ihn zu Seinem Thron
zu erwählen. Hier wohnt Er unter Menschenkindern.
„Gott hat Christus
vorgestellt zu einem Gnadenstuhl... in seinem Blut", jubelt die Gemeinde
des Neuen Bundes. Wir wissen, wo wir Gott finden, wo uns Sein Angesicht
leuchtet und wo Sein gnädiges Herz offenbar wird: im Kreuze Christi. Hier ist
Sein Thron, Seine Wohnung unter Menschenkindern.
3. Das Gerät, das zudeckt
„Gnadenstuhl" — die hebräische Bibel hat hier das Wort
„kapporet", d. h, wörtlich „ein Gerät, das zudeckt". Ja, was deckte
denn der Gnadenstuhl zu? Die Bundeslade! In der lagen die zwei steinernen
Tafeln, auf denen die Zehn Gebote standen.
Und nun kann ich nur weiterreden mit Leuten, die etwas
wissen von der Macht des unruhigen Gewissens. Man spricht heute so viel von der
Stumpfheit der Menschen. Schlimmer als die Stumpfheit der Herzen ist die
Stumpfheit der Gewissen. Warst du schon einmal beunruhigt darüber, wie wenig
dein Leben Gottes Geboten entspricht? O wie kann dies unwandelbare Gesetz
Gottes uns verklagen! Wie wird es gegen uns zeugen am Jüngsten Tage!
Wer um die Not des Gewissens weiß, der horcht auf bei der
Botschaft : Der Gnadenstuhl deckt das anklagende Gesetz zu. Das Kreuz Christi
bringt das anklagende Gesetz zum Schweigen. Jesus hat das Gesetz erfüllt bis
zum Tode. Seine Gerechtigkeit darf ich mir im Glauben aneignen. Das Gesetz
spricht mich vor Gott schuldig. Aber Christi Blut spricht mich Sünder frei.
„Kapporet", d. h. „das Gerät, das zudeckt". Es
steckt in dem hebräischen Wort ein geheimnisvoller Sinn. Es ist nicht nur
daran gedacht, dass die Bundeslade zugedeckt wird. Der Sinn ist tiefer: das
Gerät, das die Schuld zudeckt. Daher übersetzte die griechische Bibel:
„Sühnegerät". Das heißt: Meine Schuld wird hier zugedeckt, weil sie
gesühnt ist.
Wenn der Hohepriester vor dem Gnadenstuhl stand, sah er kaum
noch das Gold. Es war ganz bedeckt mit Blut. Hier wurde nämlich am
Versöhnungstage das Blut des Versöhnungsopfers ausgegossen. Und dies Blut
deckte Sünde und Schuld zu.
Das Kreuz Jesu ist unser Gnadenstuhl. Sieh dir Jesus am
Kreuze an! Da leuchtet nichts mehr vom Gold Seiner Herrlichkeit. Du siehst nur
das Blut. Das Blut, das zudeckt, was uns in die Hölle bringt. Das Blut, das
meine Sünde zudeckt. Wir singen oft im Jugendkreis: „Sein Kreuz bedeckt meine
Schuld, / sein Blut macht hell mich und rein."
O wie sehr kann Gott mir gnädig sein, wenn meine Schuld
zugedeckt
ist!
Wenn unser Gewissen erwacht ist, dann können wir in Zeit und
Ewigkeit nicht aufhören, den Gnadenstuhl des Kreuzes zu preisen.