Wilhelm Busch

Die Suchaktion Gottes

Kurzgeschichten der Bibel

 

Ich habe ein Herz gefunden

 

1. Samuel 18, 1 und 3a und 4: „Und es verband sich das Herz Jonathans mit dem Herzen Davids, und Jonathan zog aus seinen Rock und gab ihn David, dazu seinen Mantel, sein Schwert, seinen Bogen und seinen Gürtel.“

 

Es ist lächerlich, aber es ist so: Seitdem die Massen die Könige und Fürsten absetzten, haben sie ein brennendes Interesse für sie. Und die Illustrierten berichten mit Vorliebe Erlebnisse, Skandalgeschichten und Intimitäten von Fürstenhöfen – aus alter und neuer Zeit.

Nun – dann bin ich heute gut dran. Denn meine Kurzgeschichte führt uns an einen Königshof. Ich will sie kurz erzählen:

In der Umgebung des Königs Saul sah man seit einiger Zeit einen schönen, sehr jungen Mann. Die einen blickten hochmütig auf ihn herab: „Bah! Ein Bauernjunge! Man riecht ihm ja die Schafweide an! Was will der hier!“

Junge Krieger aber sahen ihm ehrfürchtig nach, wenn er vorüberging: „Das ist der, der den Riesen Goliath besiegt hat – ganz allein – ohne Waffen! Ein toller Hecht!“

Viel munkelte man über die seltsame Stellung des Königs zu diesem David: Was hat der für einen Einfluss! Wenn der König wütend ist, braucht der David nur auf der Harfe zu klimpern. Dann ist alles gut. – Andererseits erzählte man sich davon, dass der König einen stillen Zorn auf den Jungen hatte. Seltsam –!

Da war nun noch einer am Hofe: der Kronprinz Jonathan. Wie stellte denn der sich zu diesem David?

„Da verband sich das Herz Jonathans mit dem Herzen Davids.“ Diese Sache ist .es wert, dass wir sie näher betrachten. Ich sehe im Geist den jungen David, wie er bewegt und froh aus dem Palast eilt. Sein Herz jubelt: „Ich habe ein Herz gefunden!“

 

1) David und Jonathan

 

„Ich habe ein Herz gefunden!“ Das ist etwas, was uns aufhorchen lässt. Denn es ist das Kennzeichen des Menschen von heute, dass er einsam ist – einsam mitten im Gewühl der Menschen; einsam inmitten der Familie, die sich in einer engen Wohnung drängt.

Die Psychologie tastet ja den armen Menschen, wie er im Zeitalter der Technik geworden ist, beständig ab. Und da sagen uns die Psychologen: Der Mensch von heute leidet an „Kontaktschwäche“. Es fällt uns so schwer, unser Herz mit einem anderen Herzen wirklich zu verbinden. Wir haben Bekannte, Verwandte, Beziehungen. Wir haben Kollegen, Kameraden, Genossen, Nachbarn, gesellschaftlichen Verkehr. Aber das eine, wonach sich alle sehnen, finden wir nicht: ein Herz, das sich unserm Herzen verbindet.

Es sitzen junge Brautleute hier. Die denken: „O, wir haben das!“ Wirklich? Wenn ich die vielen Ehescheidungen und die üblichen Ehen ansehe, dann – ja, dann wird mir das zweifelhaft. Unsre Zeit kennt Erotik, Sexualität, Leidenschaft. Aber – ein Herz?!

Wenn es heißt: „Da verband sich das Herz Jonathans mit dem Herzen Davids“, handelt es sich nicht um romantische Schwärmerei, sondern um etwas, was ein jeder sich ersehnt.

Wir sollten von Jonathan lernen, um mit unsrer Kontaktschwäche fertig zu werden.

Da ist erstens zu sagen: Die beiden hatten Zeit füreinander. Wie kann eine Freundschaft oder eine Ehe etwas werden, wenn wir nicht mehr Zeit füreinander haben? Wir haben mit unendlich vielen Menschen flüchtige Berührung. Aber – Zeit haben!

Zweitens fällt mir auf, wie nachdrücklich hier berichtet wird, dass der Jonathan dem David seine geliebten Waffen gab. Was bedeutet das? Der Jonathan sagte: „Du!“ Unsre menschlichen Beziehungen werden nichts, weil wir immer „Ich“ meinen. Erst wenn ich das „Du!“ richtig lerne, finde ich ein Herz.

Und drittens – das ist das Wichtigste –: Ein paar Kapitel später heißt es genauer: „Die beiden machten einen Bund miteinander vor dem Herrn.“ In ihrer gegenseitigen Beziehung gab es einen wundervollen Kitt: Das war ihr gemeinsames Glaubensleben. Sie standen beide vor Jehova, dem geoffenbarten Gott. Ich bin überzeugt, dass nur in solch einer Atmosphäre wirkliche menschliche Beziehungen gedeihen können. Da nämlich wird das „Ich“ getötet. Und man lernt das „Du“.

 

2) Jesus und unser Herz

 

Der Herr Jesus hat einmal gesagt: „Suchet in der Schrift des Alten Testaments. Denn sie ist's, die von mir zeugt.“ So finden wir auf jeder Seite dieses Buches das Bild Jesu. Auch hier? Ja, auch hier!

Unser Text erzählt von dem reichen Königssohn, der die Liebe des armen Hirten David sucht. Da steht das Bild Jesu vor uns auf: Der Sohn des lebendigen Gottes, der um die Liebe des Schächers, der Zöllner und Sünder wirbt.

„Da verband sich das Herz Jesu mit unserm Herzen.“ Darum verließ er die Herrlichkeit beim Vater. Darum hing er am Kreuz. Darum sucht der Auferstandene uns. „Deswegen klopft er für und für / so stark an unsres Herzens Tür.“

Und wir wollen kalt bleiben? Wir wollen unser Herz verschließen? Es ist das unheimliche Geheimnis in der Welt, dass dies tausendfach geschieht. Wie einst vor dem Petrus am See Genezareth – so steht dieser Königssohn Jesus vor uns und fragt: „Hast du mich lieb?“' Das fragte er den Petrus, der ihn dreimal verleugnet hatte. Er fragt es uns, die wir ihn viel öfter verleugnet und beleidigt haben: „Hast du mich lieb? Ich möchte mein Herz mit dem deinen verbinden.“

Christenstand ist ja wirklich nicht ein kühles Für-wahr-halten von richtigen Heilswahrheiten. Christenstand ist auch nicht nur ein kümmerliches Erfüllen kirchlicher Formen. Christenstand ist auch nicht Sympathie für christliche Grundsätze im öffentlichen Leben.

Christenstand ist dies, dass mein Herz sich dem Herzen des Sohnes Gottes verbindet, das sich mir ganz geöffnet hat. Im Lied heißt es (und das ist wahrhaftig nicht Schwärmerei): „Ich will dich lieben, meine Zier …“ Das ist die wirkliche Erlösung aus der Einsamkeit, die der Mensch von heute so heiß ersehnt.

Ja, hinter dem Bild des Jonathan steht das Bild Jesu auf. Ich sehe Jonathan, wie er sich, Stück für Stück, von seinen herrlichen Waffen trennt, um David herrlich zu kleiden und zu rüsten. Der Apostel sagt: „Er ward arm um unsretwillen, auf dass wir durch seine Armut reich würden.“ Er wird zum ausgestoßenen Fluch am Kreuz, um mir das Gewand seiner Gerechtigkeit vor Gott zu schenken. Er wird wehrlos wie ein Lamm, damit ich die Waffen bekomme, mit denen ich Satan und der Welt begegnen kann. Wie tot müsste unser Herz sein, wenn es nicht mitsingen lernte: „Ich will dich lieben, schönstes Licht, / bis mir das Herze bricht.“

 

3) Es stand etwas im Hintergrund

 

„Da verband sich das Herz Jonathans mit dem Herzen Davids.“ Wer etwa doch meint, dies sei eine romantische Jünglingsgeschichte, der soll wissen, dass hinter dieser Szene eine unheimliche Tragik aufsteigt. David war heimlich vom Propheten Samuel zum König gesalbt. Jonathan aber war Kronprinz. Also zwei Anwärter auf den Königsthron! Der König Saul wusste davon und verfolgte schließlich den David grimmig. Und „Jonathan verband sein Herz mit dem Herzen Davids“ – obwohl er wusste: Ich muss sterben, wenn David als König leben soll. So war der Weg, den Jonathan gehen musste, klar. Und auf dem Gebirge Gilboa wurde er neben seinem Vater erschlagen. Damit wurde David König in Israel.

Jonathan muss sterben, wenn David leben soll. Sehen wir nicht, wie hier im Alten Testament das Kreuz Jesu auftaucht? Der Sohn Gottes muss sterben, damit ich leben kann. Und er ist gestorben – auf dem Berge Golgatha. Alles wirkliche Leben ist uns geschenkt worden durch den Tod Jesu am Kreuz. Hier finde ich Frieden, Auslöschen meiner Vergangenheit, Gnade Gottes, Hoffnung des ewigen Lebens.

Der „Spiegel“ brachte kürzlich ein Bild: Da sitzt Jesus in einer Zechenkantine. Um ihn hocken die Kumpel und sagen: „Verschone uns mit deiner Leidensgeschichte. Wir haben viel mehr durchgemacht in Bombennächten und hinter Stacheldraht.“

So denkt der Mensch. Wie töricht! Unsre Leiden bedeuten für niemand etwas. Jesu Leiden aber bedeutet unser – Heil! Jonathan muss sterben, dass David leben kann. Und wir? „Dass ich möge trostreich prangen, / hast du ohne Trost gehangen.“