1. Samuel 18, 1 und 3a und 4: „Und es
verband sich das Herz Jonathans mit dem Herzen Davids, und Jonathan zog aus seinen
Rock und gab ihn David, dazu seinen Mantel, sein Schwert, seinen Bogen und
seinen Gürtel.“
Es
ist lächerlich, aber es ist so: Seitdem die Massen die Könige und Fürsten
absetzten, haben sie ein brennendes Interesse für sie. Und die Illustrierten
berichten mit Vorliebe Erlebnisse, Skandalgeschichten und Intimitäten von
Fürstenhöfen – aus alter und neuer Zeit.
Nun
– dann bin ich heute gut dran. Denn meine Kurzgeschichte führt uns an einen
Königshof. Ich will sie kurz erzählen:
In
der Umgebung des Königs Saul sah man seit einiger Zeit einen schönen, sehr
jungen Mann. Die einen blickten hochmütig auf ihn herab: „Bah! Ein Bauernjunge!
Man riecht ihm ja die Schafweide an! Was will der hier!“
Junge
Krieger aber sahen ihm ehrfürchtig nach, wenn er vorüberging: „Das ist der, der
den Riesen Goliath besiegt hat – ganz allein – ohne Waffen! Ein toller Hecht!“
Viel
munkelte man über die seltsame Stellung des Königs zu diesem David: Was hat der
für einen Einfluss! Wenn der König wütend ist, braucht der David nur auf der
Harfe zu klimpern. Dann ist alles gut. – Andererseits erzählte man sich davon, dass
der König einen stillen Zorn auf den Jungen hatte. Seltsam –!
Da
war nun noch einer am Hofe: der Kronprinz Jonathan. Wie stellte denn der sich
zu diesem David?
„Da
verband sich das Herz Jonathans mit dem Herzen Davids.“ Diese Sache ist .es
wert, dass wir sie näher betrachten. Ich sehe im Geist den jungen David, wie er
bewegt und froh aus dem Palast eilt. Sein Herz jubelt: „Ich habe ein Herz gefunden!“
1) David und Jonathan
„Ich
habe ein Herz gefunden!“ Das ist etwas, was uns aufhorchen lässt. Denn es ist
das Kennzeichen des Menschen von heute, dass er einsam ist – einsam mitten im
Gewühl der Menschen; einsam inmitten der Familie, die sich in einer engen Wohnung
drängt.
Die
Psychologie tastet ja den armen Menschen, wie er im Zeitalter der Technik
geworden ist, beständig ab. Und da sagen uns die Psychologen: Der Mensch von
heute leidet an „Kontaktschwäche“. Es fällt uns so schwer, unser Herz mit einem
anderen Herzen wirklich zu verbinden. Wir haben Bekannte, Verwandte, Beziehungen.
Wir haben Kollegen, Kameraden, Genossen, Nachbarn, gesellschaftlichen Verkehr.
Aber das eine, wonach sich alle sehnen, finden wir nicht: ein Herz, das sich unserm
Herzen verbindet.
Es
sitzen junge Brautleute hier. Die denken: „O, wir haben das!“ Wirklich? Wenn
ich die vielen Ehescheidungen und die üblichen Ehen ansehe, dann – ja, dann
wird mir das zweifelhaft. Unsre Zeit kennt Erotik, Sexualität, Leidenschaft.
Aber – ein Herz?!
Wenn
es heißt: „Da verband sich das Herz Jonathans mit dem Herzen Davids“, handelt
es sich nicht um romantische Schwärmerei, sondern um etwas, was ein jeder sich
ersehnt.
Wir
sollten von Jonathan lernen, um mit unsrer Kontaktschwäche fertig zu werden.
Da
ist erstens zu sagen: Die beiden hatten Zeit füreinander. Wie kann eine
Freundschaft oder eine Ehe etwas werden, wenn wir nicht mehr Zeit füreinander
haben? Wir haben mit unendlich vielen Menschen flüchtige Berührung. Aber – Zeit
haben!
Zweitens
fällt mir auf, wie nachdrücklich hier berichtet wird, dass der Jonathan dem
David seine geliebten Waffen gab. Was bedeutet das? Der Jonathan sagte: „Du!“ Unsre menschlichen Beziehungen
werden nichts, weil wir immer „Ich“ meinen. Erst wenn ich das „Du!“ richtig lerne, finde ich ein Herz.
Und
drittens – das ist das Wichtigste –: Ein paar Kapitel später heißt es genauer: „Die
beiden machten einen Bund miteinander vor
dem Herrn.“ In ihrer gegenseitigen Beziehung gab es einen wundervollen
Kitt: Das war ihr gemeinsames Glaubensleben. Sie standen beide vor Jehova, dem
geoffenbarten Gott. Ich bin überzeugt, dass nur in solch einer Atmosphäre
wirkliche menschliche Beziehungen gedeihen können. Da nämlich wird das „Ich“
getötet. Und man lernt das „Du“.
2) Jesus und unser Herz
Der
Herr Jesus hat einmal gesagt: „Suchet in der Schrift des Alten Testaments. Denn
sie ist's, die von mir zeugt.“ So finden wir auf jeder Seite dieses Buches das
Bild Jesu. Auch hier? Ja, auch hier!
Unser
Text erzählt von dem reichen Königssohn, der die Liebe des armen Hirten David
sucht. Da steht das Bild Jesu vor uns auf: Der Sohn des lebendigen Gottes, der
um die Liebe des Schächers, der Zöllner und Sünder wirbt.
„Da
verband sich das Herz Jesu mit unserm Herzen.“ Darum verließ er die Herrlichkeit
beim Vater. Darum hing er am Kreuz. Darum sucht der Auferstandene uns. „Deswegen
klopft er für und für / so stark an unsres Herzens Tür.“
Und
wir wollen kalt bleiben? Wir wollen unser Herz verschließen? Es ist das
unheimliche Geheimnis in der Welt, dass dies tausendfach geschieht. Wie einst
vor dem Petrus am See Genezareth – so steht dieser Königssohn Jesus vor uns und
fragt: „Hast du mich lieb?“' Das fragte er den Petrus, der ihn dreimal
verleugnet hatte. Er fragt es uns, die wir ihn viel öfter verleugnet und beleidigt
haben: „Hast du mich lieb? Ich möchte mein Herz mit dem deinen verbinden.“
Christenstand
ist ja wirklich nicht ein kühles Für-wahr-halten von
richtigen Heilswahrheiten. Christenstand ist auch nicht nur ein kümmerliches
Erfüllen kirchlicher Formen. Christenstand ist auch nicht Sympathie für
christliche Grundsätze im öffentlichen Leben.
Christenstand
ist dies, dass mein Herz sich dem Herzen des Sohnes Gottes verbindet, das sich mir
ganz geöffnet hat. Im Lied heißt es (und das ist wahrhaftig nicht Schwärmerei):
„Ich will dich lieben, meine Zier …“ Das ist die wirkliche Erlösung aus der
Einsamkeit, die der Mensch von heute so heiß ersehnt.
Ja,
hinter dem Bild des Jonathan steht das Bild Jesu auf.
Ich sehe Jonathan, wie er sich, Stück für Stück, von seinen herrlichen Waffen
trennt, um David herrlich zu kleiden und zu rüsten. Der Apostel sagt: „Er ward
arm um unsretwillen, auf dass wir durch seine Armut reich würden.“ Er wird zum
ausgestoßenen Fluch am Kreuz, um mir das Gewand seiner Gerechtigkeit vor Gott
zu schenken. Er wird wehrlos wie ein Lamm, damit ich die Waffen bekomme, mit
denen ich Satan und der Welt begegnen kann. Wie tot müsste unser Herz sein, wenn
es nicht mitsingen lernte: „Ich will dich lieben, schönstes Licht, / bis mir
das Herze bricht.“
3) Es stand etwas im Hintergrund
„Da
verband sich das Herz Jonathans mit dem Herzen Davids.“ Wer etwa doch meint,
dies sei eine romantische Jünglingsgeschichte, der soll wissen, dass hinter
dieser Szene eine unheimliche Tragik aufsteigt. David war heimlich vom Propheten
Samuel zum König gesalbt. Jonathan aber war Kronprinz. Also zwei Anwärter auf
den Königsthron! Der König Saul wusste davon und verfolgte schließlich den
David grimmig. Und „Jonathan verband sein Herz mit dem Herzen Davids“ – obwohl
er wusste: Ich muss sterben, wenn David als König leben soll. So war der Weg, den
Jonathan gehen musste, klar. Und auf dem Gebirge Gilboa wurde er neben seinem
Vater erschlagen. Damit wurde David König in Israel.
Jonathan
muss sterben, wenn David leben soll. Sehen wir nicht, wie hier im Alten
Testament das Kreuz Jesu auftaucht? Der Sohn Gottes muss sterben, damit ich
leben kann. Und er ist gestorben – auf dem Berge Golgatha. Alles wirkliche
Leben ist uns geschenkt worden durch den Tod Jesu am Kreuz. Hier finde ich
Frieden, Auslöschen meiner Vergangenheit, Gnade Gottes, Hoffnung des ewigen
Lebens.
Der
„Spiegel“ brachte kürzlich ein Bild: Da sitzt Jesus in einer Zechenkantine. Um
ihn hocken die Kumpel und sagen: „Verschone uns mit deiner Leidensgeschichte.
Wir haben viel mehr durchgemacht in Bombennächten und hinter Stacheldraht.“
So
denkt der Mensch. Wie töricht! Unsre Leiden bedeuten für niemand etwas. Jesu
Leiden aber bedeutet unser – Heil! Jonathan muss sterben, dass David leben
kann. Und wir? „Dass ich möge trostreich prangen, / hast du ohne Trost
gehangen.“