Apostelgeschichte 12, 1-2: „Um diese
Zeit legte der König Herodes die Hände an etliche von der Gemeinde, sie zu peinigen.
Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert.“
Das
ist eine furchtbare und blutige Geschichte, aus der sich nachher allerlei
aufregende Begebnisse entwickelt haben.
Aber
sie steht so in ihrer furchtbaren Tragik als eine in sich geschlossene
Kurzgeschichte da: Diese dunkle Geschichte von einem König, der mit
Menschenleben leichtsinnig spielt, von den namenlosen und unbekannten Christen,
die unter der Folter sterben, und von dem bedeutenden Apostel, der zum Ergötzen
des rohen Volkes öffentlich hingerichtet wird.
Man
kann die Achseln zucken und sagen: „Mach doch keinen Lärm um diese alte
Geschichte! Wie viel ist seitdem mit Menschenleben gespielt worden! Wie sind
Menschen gefoltert und getötet worden! Da lohnt es doch nicht, diese alte
Episode aufzuwärmen.“
Wer
so spricht, hat die Geschichte nicht begriffen. Hier soll uns etwas Wichtiges
gezeigt werden. Seht, in den Kapiteln vorher wird uns in überwältigender Weise
der Siegeszug des Evangeliums berichtet. Und dann folgt auf einmal – fast zum Erschrecken
– diese Kurzgeschichte von Sterben und Tod. Sie will uns sagen vom Sterbensweg
der Jesus-Jünger.
1) Jesus-Jünger sind in jeder Hinsicht in der Gewalt Jesu
Wie
das hier nebeneinander steht: „etliche von der Gemeinde“ und dann „Jakobus, der
Bruder des Johannes“! Jakobus war einer der drei Jünger, die Jesus besonders
herausgehoben hat. Er war mit auf dem Berg der Verklärung. Er hat in Gethsemane
das Gebetsringen Jesu gesehen. Also ein Mann, fortgeschritten im Glauben, ein
Mann, zu Großem berufen. Und daneben „etliche von der Gemeinde“ – unbekannte
Christen, jung und unerfahren im Glauben, unbekannt in der Welt, doch Gott wohl
bekannt.
Eins
hatten diese unbekannten Christen und der Apostel gemeinsam: Jesus war ihnen so
viel wert, dass sie willig für ihn starben.
Jesus
hatte ihr Herz überwältigt, dass er ihnen mehr galt als das leibliche Leben.
Es
war ihnen über alles andere wichtig, dass der Sohn Gottes aus der anderen Welt
gekommen ist; dass er den verborgenen Gott offenbart hat; dass es durch ihn
Vergebung der Sünden gibt; dass hier ein Opfer dargebracht wird, das uns
wirklich mit Gott versöhnt; dass Jesus eine gewisse Hoffnung des ewigen Lebens
gibt – ja, das war ihnen so wichtig, dass sie lieber ihr Leben ließen auf der
Folter, als auf all dieses zu verzichten.
Und
nun fragen uns diese Märtyrer: „Steht es bei auch euch so? Euer ganzer
Christenstand ist keine zwei Pfennig wert, wenn ihr nicht so denkt. Dann habt
ihr nämlich noch keine Ahnung von der Offenbarung Gottes und von seinem Heil.
Dann kennt ihr den Herrn Jesus noch gar nicht. Denn wer ihn kennt, ist bereit,
für ihn zu sterben!“ – So fragen uns diese Märtyrer. Was wollen wir antworten?!
Ich
sagte: Sie waren überwältigt von Jesus. Nicht nur so, dass er ihnen über alles
lieb war. Sondern auch so, dass sie von ihm lernten. Was denn lernten? Dies: Bereit sein zum Leiden! Ich will das erklären:
Der
Herr Jesus ließ sich peinigen. Aber nie hat er jemand gepeinigt. Wir sind
anders. Wir sind immer aktive Peiniger. Wie können Kinder ihre Lehrer peinigen,
oder Eltern ihre Kinder! Und umgekehrt! Wir peinigen einander meist aus
Gedankenlosigkeit. Wie können Nachbarn einander peinigen durch unbedachten
Lärm! Wie können Ehegatten einander peinigen bis aufs Blut! Regierungen
peinigen Völker. Das Verkehrschaos ist ein Beispiel, wie unser Egoismus peinigt.
Jesus-Jünger lernen von ihrem Meister: Sie wandeln vorsichtig, um andere nicht
zu peinigen. Aber sie sind bereit – wie die Christen in unserem Text – sich
peinigen zu lassen – wie Jesus tat.
Jesus-Jünger
sind beständig in der Schule Jesu. Sein Wesen ist ihnen so groß, dass sie
immerzu von ihm lernen wollen. Aber damit sind wir schon beim zweiten:
2) Jesus-Jünger wissen, dass es immer um Sterben geht
Jetzt
habe ich etwas Schweres und Wichtiges zu sagen. Aber es ist so schwer, dass ich
Sorge haben muss, dass eure Vernunft unwillig wird und ihr im Zuhören
abschaltet. Und doch muss ich es sagen, wenn ich – wie Paulus einst erklärte – euch
den ganzen Rat Gottes mitteilen
will.
Diese
Leute in unserem Text fingen mit dem Sterben um Jesu willen nicht erst an, als
der König Herodes sie verhaften ließ. Sie hatten es schon vorher täglich geübt.
Wer
das Neue Testament und auch das Alte aufmerksam liest, der entdeckt, dass da
beständig die Rede ist von einem „In-den-Tod-geben“
der natürlichen Art. Ehe ein Mensch in die Gewalt des Herrn Jesus kommt, hat er
ein großes Wohlgefallen an sich selber. Er findet an sich höchstens kleine Fehlerchen,
die aber weit wettgemacht werden durch unendliche Tugenden.
Kaum
jedoch kommt man zu Jesus, so entdeckt man, dass die eigene Art in keiner Weise
zu Jesus passt. So ging es dem Petrus bei dem wunderbaren Fischzug. Da erklärte
er dem Herrn Jesus erschüttert: „Gehe von mir hinaus, ich bin ein sündiger Mensch!“
Das hieß: Wir beide passen nicht zusammen. – Nun ist der Herr nicht von ihm
gegangen. Er hat dem Petrus vielmehr gezeigt: Du darfst deine böse Natur in den
Tod geben, damit ich immer mehr in dir Gestalt gewinne.
Der
Herr Jesus ist auf diesem Weg vorangegangen. Er ist nicht erst am Kreuz
gestorben. Das Sterben fing bereits an, als ihm vom Teufel auf dem Berge der
Versuchung die ganze Welt angeboten wurde. Da hat er sein Wünschen in den Tod gegeben
und ist dem Vater gehorsam geworden. Was für ein Sterben mag das gewesen sein!
Und dann ging sein Sterben weiter in Gethsemane. Da hat er in heißem Kampf sein
Fleisch und Blut in den Tod gegeben und alles Gott
geschenkt.
Und
nun gilt es für wirkliche Jesus-Jünger, dass sie in seiner Nachfolge dasselbe
lernen.
Ich
muss noch einmal die schöne Geschichte erzählen von dem Gründer der evangelischen
Studentenarbeit dem Grafen Pückler. Er war alt geworden. Und in einer erregten
Besprechung forderten junge Leute ihn auf, endlich abzutreten. Dabei sind die
jungen Heißsporne nicht sanft mit ihm umgegangen. Paul Humburg
erzählte später, der Graf habe einen eigenartigen Ausdruck im Gesicht gehabt.
Und als Humburg ihn nachher fragte, was er denn
gedacht habe, da antwortete der Graf: „Ich habe unablässig gebetet: ,Herr Jesus, halte die Nägel fest'!“ Wie wundervoll! Seine
alte Natur wollte aufspringen und auf den Tisch hauen. Aber er gab sie mit
Jesus ans Kreuz. Allein wurde er nicht fertig. Darum dies seltsame Gebet: „Herr
Jesus, halte die Nägel fest! Lass mit dir gekreuzigt sein, was dein Reich nicht
kann ererben!“
Was
Leben aus Gott ist, habe ich am meisten bei den pietistischen Bauern auf der
Schwäbischen Alb gelernt. Da vergeht kaum eine „Stunde“, in der nicht gesagt
wird: „Gib deine Natur mit Jesus in den Tod!“
Es
wende nun keiner ein, davon stehe nichts in unserem Text. Gerade dies war die
Voraussetzung dafür, dass diese Leute willig auch den leiblichen Tod für Jesus
starben.
3) Die Kehrseite des Sterbenswegs
Nun
möchte ich am liebsten die Predigt noch einmal von vorne anfangen und euch
zeigen: Wie herrlich muss der Herr Jesus sein, dass Menschen bereit sind,
geistliches und leibliches sterben auf sich zu nehmen! Man kann dies ja nur als
Verrücktheit bezeichnen, wenn man das nicht immer als Hintergrund sieht: Jesus
ist so herrlich, dass vor ihm dies Sterben gering wird.
Das
ist viel gesagt. Wie steht hier? „Herodes legte die Hände an etliche von der
Gemeinde, sie zu peinigen.“ Wie viel Not, wie viel Tränen, welcher Jammer, wie
großes Leid stehen dahinter! Was wurde doch durchgelitten
in den Folterkammern des Herodes!
Aber
nun muss ich euch die Kehrseite dieser schrecklichen und blutigen Geschichte
zeigen. Sie steht in dem letzten Buch der Bibel. Da sieht der Seher im Geist
die neue, zukünftige, ewige Welt: „Siehe da, das Zelt Gottes bei den Menschen! Und
Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Und der Tod wird nicht mehr
sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz. Wer überwindet, der wird es alles
ererben …“
Unsere
Väter sagten: „Um einen ew’gen Kranz / dies arme Leben
ganz!“