Wilhelm Busch

Die Suchaktion Gottes

Kurzgeschichten der Bibel

 

Sterbensweg der Jesus-Jünger

 

Apostelgeschichte 12, 1-2: „Um diese Zeit legte der König Herodes die Hände an etliche von der Gemeinde, sie zu peinigen. Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert.“

 

Das ist eine furchtbare und blutige Geschichte, aus der sich nachher allerlei aufregende Begebnisse entwickelt haben.

Aber sie steht so in ihrer furchtbaren Tragik als eine in sich geschlossene Kurzgeschichte da: Diese dunkle Geschichte von einem König, der mit Menschenleben leichtsinnig spielt, von den namenlosen und unbekannten Christen, die unter der Folter sterben, und von dem bedeutenden Apostel, der zum Ergötzen des rohen Volkes öffentlich hingerichtet wird.

Man kann die Achseln zucken und sagen: „Mach doch keinen Lärm um diese alte Geschichte! Wie viel ist seitdem mit Menschenleben gespielt worden! Wie sind Menschen gefoltert und getötet worden! Da lohnt es doch nicht, diese alte Episode aufzuwärmen.“

Wer so spricht, hat die Geschichte nicht begriffen. Hier soll uns etwas Wichtiges gezeigt werden. Seht, in den Kapiteln vorher wird uns in überwältigender Weise der Siegeszug des Evangeliums berichtet. Und dann folgt auf einmal – fast zum Erschrecken – diese Kurzgeschichte von Sterben und Tod. Sie will uns sagen vom Sterbensweg der Jesus-Jünger.

 

1) Jesus-Jünger sind in jeder Hinsicht in der Gewalt Jesu

 

Wie das hier nebeneinander steht: „etliche von der Gemeinde“ und dann „Jakobus, der Bruder des Johannes“! Jakobus war einer der drei Jünger, die Jesus besonders herausgehoben hat. Er war mit auf dem Berg der Verklärung. Er hat in Gethsemane das Gebetsringen Jesu gesehen. Also ein Mann, fortgeschritten im Glauben, ein Mann, zu Großem berufen. Und daneben „etliche von der Gemeinde“ – unbekannte Christen, jung und unerfahren im Glauben, unbekannt in der Welt, doch Gott wohl bekannt.

Eins hatten diese unbekannten Christen und der Apostel gemeinsam: Jesus war ihnen so viel wert, dass sie willig für ihn starben.

Jesus hatte ihr Herz überwältigt, dass er ihnen mehr galt als das leibliche Leben.

Es war ihnen über alles andere wichtig, dass der Sohn Gottes aus der anderen Welt gekommen ist; dass er den verborgenen Gott offenbart hat; dass es durch ihn Vergebung der Sünden gibt; dass hier ein Opfer dargebracht wird, das uns wirklich mit Gott versöhnt; dass Jesus eine gewisse Hoffnung des ewigen Lebens gibt – ja, das war ihnen so wichtig, dass sie lieber ihr Leben ließen auf der Folter, als auf all dieses zu verzichten.

Und nun fragen uns diese Märtyrer: „Steht es bei auch euch so? Euer ganzer Christenstand ist keine zwei Pfennig wert, wenn ihr nicht so denkt. Dann habt ihr nämlich noch keine Ahnung von der Offenbarung Gottes und von seinem Heil. Dann kennt ihr den Herrn Jesus noch gar nicht. Denn wer ihn kennt, ist bereit, für ihn zu sterben!“ – So fragen uns diese Märtyrer. Was wollen wir antworten?!

Ich sagte: Sie waren überwältigt von Jesus. Nicht nur so, dass er ihnen über alles lieb war. Sondern auch so, dass sie von ihm lernten. Was denn lernten? Dies: Bereit sein zum Leiden! Ich will das erklären:

Der Herr Jesus ließ sich peinigen. Aber nie hat er jemand gepeinigt. Wir sind anders. Wir sind immer aktive Peiniger. Wie können Kinder ihre Lehrer peinigen, oder Eltern ihre Kinder! Und umgekehrt! Wir peinigen einander meist aus Gedankenlosigkeit. Wie können Nachbarn einander peinigen durch unbedachten Lärm! Wie können Ehegatten einander peinigen bis aufs Blut! Regierungen peinigen Völker. Das Verkehrschaos ist ein Beispiel, wie unser Egoismus peinigt. Jesus-Jünger lernen von ihrem Meister: Sie wandeln vorsichtig, um andere nicht zu peinigen. Aber sie sind bereit – wie die Christen in unserem Text – sich peinigen zu lassen – wie Jesus tat.

Jesus-Jünger sind beständig in der Schule Jesu. Sein Wesen ist ihnen so groß, dass sie immerzu von ihm lernen wollen. Aber damit sind wir schon beim zweiten:

 

2) Jesus-Jünger wissen, dass es immer um Sterben geht

 

Jetzt habe ich etwas Schweres und Wichtiges zu sagen. Aber es ist so schwer, dass ich Sorge haben muss, dass eure Vernunft unwillig wird und ihr im Zuhören abschaltet. Und doch muss ich es sagen, wenn ich – wie Paulus einst erklärte – euch den ganzen Rat Gottes mitteilen will.

Diese Leute in unserem Text fingen mit dem Sterben um Jesu willen nicht erst an, als der König Herodes sie verhaften ließ. Sie hatten es schon vorher täglich geübt.

Wer das Neue Testament und auch das Alte aufmerksam liest, der entdeckt, dass da beständig die Rede ist von einem „In-den-Tod-geben“ der natürlichen Art. Ehe ein Mensch in die Gewalt des Herrn Jesus kommt, hat er ein großes Wohlgefallen an sich selber. Er findet an sich höchstens kleine Fehlerchen, die aber weit wettgemacht werden durch unendliche Tugenden.

Kaum jedoch kommt man zu Jesus, so entdeckt man, dass die eigene Art in keiner Weise zu Jesus passt. So ging es dem Petrus bei dem wunderbaren Fischzug. Da erklärte er dem Herrn Jesus erschüttert: „Gehe von mir hinaus, ich bin ein sündiger Mensch!“ Das hieß: Wir beide passen nicht zusammen. – Nun ist der Herr nicht von ihm gegangen. Er hat dem Petrus vielmehr gezeigt: Du darfst deine böse Natur in den Tod geben, damit ich immer mehr in dir Gestalt gewinne.

Der Herr Jesus ist auf diesem Weg vorangegangen. Er ist nicht erst am Kreuz gestorben. Das Sterben fing bereits an, als ihm vom Teufel auf dem Berge der Versuchung die ganze Welt angeboten wurde. Da hat er sein Wünschen in den Tod gegeben und ist dem Vater gehorsam geworden. Was für ein Sterben mag das gewesen sein! Und dann ging sein Sterben weiter in Gethsemane. Da hat er in heißem Kampf sein Fleisch und Blut in den Tod gegeben und alles Gott geschenkt.

Und nun gilt es für wirkliche Jesus-Jünger, dass sie in seiner Nachfolge dasselbe lernen.

Ich muss noch einmal die schöne Geschichte erzählen von dem Gründer der evangelischen Studentenarbeit dem Grafen Pückler. Er war alt geworden. Und in einer erregten Besprechung forderten junge Leute ihn auf, endlich abzutreten. Dabei sind die jungen Heißsporne nicht sanft mit ihm umgegangen. Paul Humburg erzählte später, der Graf habe einen eigenartigen Ausdruck im Gesicht gehabt. Und als Humburg ihn nachher fragte, was er denn gedacht habe, da antwortete der Graf: „Ich habe unablässig gebetet: ,Herr Jesus, halte die Nägel fest'!“ Wie wundervoll! Seine alte Natur wollte aufspringen und auf den Tisch hauen. Aber er gab sie mit Jesus ans Kreuz. Allein wurde er nicht fertig. Darum dies seltsame Gebet: „Herr Jesus, halte die Nägel fest! Lass mit dir gekreuzigt sein, was dein Reich nicht kann ererben!“

Was Leben aus Gott ist, habe ich am meisten bei den pietistischen Bauern auf der Schwäbischen Alb gelernt. Da vergeht kaum eine „Stunde“, in der nicht gesagt wird: „Gib deine Natur mit Jesus in den Tod!“

Es wende nun keiner ein, davon stehe nichts in unserem Text. Gerade dies war die Voraussetzung dafür, dass diese Leute willig auch den leiblichen Tod für Jesus starben.

 

3) Die Kehrseite des Sterbenswegs

 

Nun möchte ich am liebsten die Predigt noch einmal von vorne anfangen und euch zeigen: Wie herrlich muss der Herr Jesus sein, dass Menschen bereit sind, geistliches und leibliches sterben auf sich zu nehmen! Man kann dies ja nur als Verrücktheit bezeichnen, wenn man das nicht immer als Hintergrund sieht: Jesus ist so herrlich, dass vor ihm dies Sterben gering wird.

Das ist viel gesagt. Wie steht hier? „Herodes legte die Hände an etliche von der Gemeinde, sie zu peinigen.“ Wie viel Not, wie viel Tränen, welcher Jammer, wie großes Leid stehen dahinter! Was wurde doch durchgelitten in den Folterkammern des Herodes!

Aber nun muss ich euch die Kehrseite dieser schrecklichen und blutigen Geschichte zeigen. Sie steht in dem letzten Buch der Bibel. Da sieht der Seher im Geist die neue, zukünftige, ewige Welt: „Siehe da, das Zelt Gottes bei den Menschen! Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz. Wer überwindet, der wird es alles ererben …“

Unsere Väter sagten: „Um einen ew’gen Kranz / dies arme Leben ganz!“