2. Timotheus 1, 5: „Ich erinnere mich
des ungefärbten Glaubens in dir, welcher zuvor gewohnt hat in deiner Großmutter
Lois und in deiner Mutter Eunike;
ich bin aber gewiss, auch in dir.“
Kürzlich
bekam ich ein kostbares Geschenk: einen Brief, der in der ersten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts geschrieben wurde von dem bekannten Liederdichter A. Knapp
(„Eines wünsch ich mir vor allem andern“). Da schreibt er von der großen
Liedersammlung, die er herausgeben will. Es ist reizvoll, in das Alltagsleben,
das Sorgen und Planen eines solchen Gottesmannes hineinzusehen.
Viel
aufregender aber ist es, in der Korrespondenz eines ganz großen Mannes zu
blättern, der voll Heiligen Geistes der Weltgeschichte eine neue Wendung gab.
Ich meine Paulus.
Vor
mir liegt einer seiner köstlichen Briefe. In dem nimmt er kurz vor seiner Hinrichtung
Abschied von seinem jungen Freund Timotheus. „Ich werde jetzt ausgegossen“,
schreibt er, „wie ein Trankopfer … Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe
den Lauf vollendet.“
In
diesem Brieflein erwähnt er kurz die
Familienverhältnisse des Timotheus. Er gibt uns eine Familien-Kurzgeschichte.
Die ist über ihren Rahmen hinaus bedeutsam, weil sie uns Einblick gibt in die
Urgemeinde – nein, mehr! in die Gemeinde Jesu Christi ganz allgemein. Die Geschichte
spricht nämlich von der Schönheit und dem Elend der Gemeinde.
1) Wie schön ist die Gemeinde Jesu!
„Ich
kann mich gut erinnern“, schreibt Paulus an den jungen Mitarbeiter, „an deine
Großmutter Lois und an deine Mutter Eunike.“ Die beiden Frauen sind typische Kinder ihrer Zeit.
Sie stammen aus Israel, leben aber in Kleinasien inmitten der heidnischen,
römisch-hellenistischen Kulturwelt. Mit der Frömmigkeit wird's wohl nicht weit
her gewesen sein; denn beide Frauen tragen nicht mehr einen biblischen, sondern
einen griechischen Namen. Und die Eunike ist
verheiratet mit einem griechischen Heiden, wie wir aus der Apostelgeschichte
wissen. Also zwei Frauen, haltlos zwischen Judentum und Heidentum.
Und
dann hören sie das Evangelium vom Heil Gottes in Jesus. Sie bekehren sich, sie
glauben von Herzen an den Herrn Jesus. Sie führen den Sohn der Eunike, den Timotheus, dem Mann von Golgatha zu.
Und
nun wird hier alles neu und schön. Paulus skizziert das in ein paar Worten: „Ich
erinnere mich“, sagt er, „des ungefärbten Glaubens, der in deiner Großmutter,
deiner Mutter und nun hoffentlich auch in dir wohnt.“ Seht, das ist es, was eine
Gemeinde schön macht und schmückt: ungefärbter
Glaube, der im Herzen wohnt.
Das
müssen wir etwas näher ansehen.
„Glaube“! Wenn Paulus vom Glauben
spricht, dann meint er nicht den Feld-, Wald- und Wiesenglauben des
westdeutschen Normalmenschen an den „Herrgott“ und an das „Gute im Menschen“. „Glaube“
da sieht Paulus auf Jesus, wie er am Kreuz hängt und wie er herrlich
aufersteht. „Glaube“ – das heißt: an sich selbst nichts Gutes finden und doch
fest wissen: Durch Jesu Kreuz bin ich vor Gott gerecht gemacht. „Glaube“ – das
heißt: die Brücken hinter sich abbrechen und sein Sündenleben dahinten lassen
und sich mit seinem ganzen Leben Jesus anvertrauen.
„Glaube“
– das ist schön! In dieser schmutzigen, haltlosen Welt Menschen, die Jesus
gehören und Felsengrund unter den Füßen haben.
Nun
sagt Paulus: Dieser Glaube „wohnt“
in Lois, Eunike und
Timotheus. Was heißt das? Lasst mich ein Beispiel brauchen. Als Jungen gingen
wir in Frankfurt a. M. zuweilen in die jüdische Synagoge. Nun müssen dort die
Männer einen Hut aufhaben beim Gottesdienst. Wir Jungen hatten aber keinen Hut.
Da konnte man sich für 10 Pfennig an der Tür einen leihen. Das haben wir getan.
Wenn man nach dem Gottesdienst herauskam, gab man den Hut wieder ab.
Ich
fürchte, viele von uns machen es so mit dem Glauben. Wenn sie hier in den
Gottesdienst kommen, setzen sie ein Glaubenshütlein
auf. Aber wenn sie nachher fortgehen, lassen sie es hier zurück. Heute Abend
ist Jesus nicht mehr dabei. Und morgen früh auch nicht. Kümmerlich!
Bei
Lois, Eunike und Timotheus
war es anders. Da „wohnte“ der Glaube in ihnen. Das heißt: Er war auch am
Sonntagabend dabei. Und Jesus war dabei in der Familie, im Geschäft, auf der
Straße und im Schlaf.
Und
nun sagt Paulus noch etwas von dem Glauben dieser drei Leute. Es war ein „ungefärbter“ Glaube. Das griechische Wort,
das hier steht, heißt in der Urbedeutung: „Unerfahren in der Kunst der
Schauspielerei.“ Hat man nicht von vielen Christen und auch Pfarrern den
Eindruck: „Du bist ein guter Schauspieler. Doch von der Kraft des Heiligen
Geistes merkt man nichts an dir!“ Jeder Mensch ist Schauspieler. Schon die kleinen
Kinder. Wenn Jesus wirklich in unser Leben kommt, fallen die Masken, Sünden
kommen an das Licht. Und von da ab wandelt man im Licht und nicht in der Maske.
Seht,
das ist die Schönheit der Gemeinde Jesu, dass es dort so etwas gibt:
ungefärbten Glauben, der im Herzen wohnt.
2) Das Elend der Gemeinde Jesu
Als
junger Hilfsprediger erlebte ich in meiner Bielefelder Vorortgemeinde, wie Gott
neues Leben gibt. Und da hielt ich es für notwendig, eine Evangelisation zu
veranstalten. In der Nähe wohnte ein alter Mann Gottes namens Dallmeyer. Den bat ich: „Halten Sie eine Woche lang
Evangeliums-Vorträge in meinem Bezirk!“ Er tat es. Aber er war so elend, dass
wir ihm einen hohen Stuhl in die Kanzel setzen mussten. Da hat er sitzend
gepredigt. Nun hatte er sich originelle Themen gewählt. Z. B. „Der böse Mann
und die gute Frau“. Da sprach er über Nabal und
Abigail. Wer die Bibel kennt, versteht. Oder: „Der gute Mann und die böse Frau.“'
Da redete er über Hiob und dessen Frau. Ein drittes Thema lautete: „Großmutter,
Mutter und Kind“ – oder: „Wo bleibt der Vater?“ Dazu las er: „Ich erinnere mich
des ungefärbten Glaubens, der in deiner Großmutter Lois
und in deiner Mutter Eunike wohnte und gewiss auch in
dir, lieber Timotheus!“
Da
habt ihr, was ich mit dem Elend meine! „Großmutter, Mutter und Kinder – oder:
Wo bleibt der Vater?“ Wie oft muss ich das denken in meinen Vorträgen und
Predigten.
Der
Vater des Timotheus blieb dem Herrn Jesus fern. Also schon damals glaubten die
Männer, das Evangelium sei eine sentimentale Sache für Frauen und Kinder. Aber
es sei nichts für Männer, die „mit beiden Füßen auf dem Boden stehen“. Wie wird
diesen Männern zumute werden, wenn Gott einmal diesen Boden unter ihnen
wegzieht; wenn er ihre elenden Sünden an das Licht bringt; wenn ihnen aufgeht dass
sie das Beste im Leben verpasst haben; wenn ihnen die Posaunen des Gerichts in
die Ohren gellen; wenn sie das tötende Lachen hören vom Throne Gottes: „Ihr
Narren! Ihr habt den rechten Weg verfehlt!“
Seht,
das ist das Elend der Gemeinde Jesu, dass es ihr so schwer gelingt, Männern zu
zeigen: Das Evangelium ist nicht ein sentimentaler Unsinn. Es geht dabei
vielmehr um unser ewiges und zeitliches Schicksal.
3) Das Unheimliche der Gemeinde Jesu
Jedes
Mal, wenn ich unseren Text lese, fällt mir ein erschreckendes Wort ein, das der
Herr Jesus selbst gesagt hat: „Es werden zwei auf einem Bette liegen; einer
wird angenommen, der andere wird verlassen werden.“ Da ist Eunike.
Ihr Name steht nicht nur in der Bibel, sondern auch in den Büchern Gottes. Ihr
Mann aber wird weder hier noch dort erwähnt.
Seht,
das ist der unheimliche Charakter der Gemeinde Jesu Christi. Sie ist nicht ein
soziologisches Gebilde wie andere. In ihr geschehen vielmehr unablässig
Entscheidungen, die in die Ewigkeit hineinreichen. Ein solcher Gottesdienst ist
nicht eine Versammlung wie irgendeine andere. Hier geschieht vielmehr, was
Paulus einmal so ausdrückt: „Das Evangelium ist den einen ein Geruch des Todes
zum Tode, den anderen ein Geruch des Lebens zum Leben.“ Das heißt: Das
Evangelium wirkt auf die einen wie Kölnisch Wasser auf Ohnmächtige: Sie
erwachen, kommen zu sich, gehen ins Leben. Auf die anderen wirkt es wie
Giftgas: Es verstockt sie und tötet sie innerlich ab.
In
der Gemeinde Jesu fallen ewige Entscheidungen. Wie sieht unsere aus?