Wilhelm Busch - Kleine Erzählungen

 

„So möchte ich nicht sterben...!"

 

Saßen wir da neulich einmal in einem Kreis junger Männer zusammen. Nach kurzer Zeit kam das Gespräch auf Kriegs­erlebnisse. Obwohl es ganz junge Kerle waren, hatten sie doch alle schon Unheimliches erlebt.

Auf einmal begann „Schauster". Das ist natürlich sein Spitz­name. Und er verdient auch einen. Denn er ist ein lustiger und quicklebendiger Junge, der in kurzer Zeit einen ganzen Saal voller Leute zum Lachen bringen kann.

Und darum packte es alle mächtig, als wir seinen Worten einen ungeheuren Ernst und ein tiefes Grauen anspürten.

Er erzählte: „Da lag ich eines Tages in unsrer Flakstellung im Bunker auf der Pritsche und las in meiner Bibel. Auf ein­mal kam ein Kamerad zu mir heran und fragte: ,Was liest du da?' — ,Die Bibel.' Na, nun ging's aber los: ,Das ist doch ein unsinniges Buch! Das ist doch ein Buch voller Widersprüche! Das liest doch kein vernünftiger Mensch mehr! Das macht dich doch nur dumm!'

Ich hörte mir das alles an und entgegnete schließlich nur den einen Satz: ,Was willst du eigentlich machen, wenn das Jüngste Gericht kommt und du mit all deinen Sünden vor Gott stehst?'

Da ging's natürlich erst recht los. Das sei ja alles Unsinn. Ein Gericht Gottes gäbe es nicht. Und da könne man richtig sehen, wie dumm die Menschen seien . . .

Am nächsten Tag kamen feindliche Flieger und deckten unsre Stellung ein. Es war furchtbar. Brandbomben und Sprengbom­ben krachten und hagelten in und um die Stellung. Als es zu Ende war, ging es ans Aufräumen. Da lag der Mann, der am Tag vorher so gespottet hatte, in einer grauenvollen Verfas­sung. Beide Beine waren ihm abgebrannt. Ich packte mit an, und wir trugen ihn zum Verbinden. Da sah er mich auf einmal groß an. Ein abgründiges Erschrecken ging über sein Gesicht, als er fragte: ,Sag mal, gibt es wirklich ein Gericht Gottes?'

Und dann starb er."

Ganz ernst schloß „Schauster" seinen Bericht mit den Wor­ten: „So möchte ich einmal nicht sterben!"

 

„So möchte ich einmal nicht sterben!" Genau dasselbe Wort hörte ich ein paar Tage vorher von einem andren jungen Mann. Das war in einem fröhlichen Zeltlager. Ich saß in meinem Zelt. Da ging der Vorhang zurück. Ein junger Mann steckte den Kopf herein und fragte: „Darf ich Sie einmal sprechen?" Es gab ein feines, ernstes Gespräch, das damit endigte, daß wir beide zusammen die Hände falteten und der junge Mann von Herzen dankte, daß er den Herrn Jesus Christus als seinen Heiland und Erlöser gefunden habe und daß er sich durch Sein Blut errettet wisse von Sünde, Tod und Hölle.

Als er nun gehen wollte, hielt ich ihn einen Augenblick fest. „Sag mal, wie bist du eigentlich auf diesen Weg gekommen? Ich weiß doch, daß alle deine Freunde und Bekannten vom Herrn Jesus nichts wissen wollen."

Da wurde er sehr ernst und sagte: „Ich habe im Krieg ein kleines Erlebnis gehabt, das hat mich nicht mehr losgelassen. Ein Mann von 45 Jahren bekam einen Bauchschuß. Als er nun dalag, wimmerte er immerzu: .Wenn ich doch beten könnte! Es soll einer mit mir beten! Ich kann doch nicht beten! Kann denn niemand mit mir beten?'

Ich war damals 16 Jahre alt. Und wie ich den Mann so jam­mern hörte, da bin ich furchtbar erschrocken und habe gedacht: So möchte ich einmal nicht sterben! Nein, so möchte ich nicht sterben, daß ich nicht einmal beten kann. — Ich habe dann mit dem Mann zu beten versucht. Und seit jener Zeit habe ich mir vorgenommen, ich möchte ein Kind Gottes werden."