Wilhelm Busch
Die offene Tür
Meine Begegnung mit der Geheimen Staatspolizei (Teil 1/2)
[Einleitung von der Person, die Busch zum Vortrag eingeladen hat]
Kürzlich schrieb Pfarrer Busch, ob junge Leute von heute, sich überhaupt noch für Geschichten aus dem Dritten Reich interessieren würden. Ob er nicht viel mehr andere Dinge aus seinem Leben erzähle, denn es sei auch ausserhalb des Dritten Reichs so einiges bei ihm passiert. Wir sind beim Thema geblieben. Weil Vergangenheit nur dann bewältigt ist, wenn man an sie tippen kann, ohne zusammenzuzucken und gleich in Abwehrstellung zu gehen.
Hinter all dem Terror und den Schikanen, von denen wir hören werden, stammt eine geistige Auseinandersetzung. Lassen Sie mich das an einem Gedicht deutlich zu machen versuchen, was von einem Mann stammt, der jetzt noch in Spanndau inhaftiert ist; ich meine den früheren Reichsjugendführer, Baldur von Schirach2. In folgenden Zeilen himmelt er Adolf Hitler an:
«Wir hörten
oftmals, deine Stimme klang,
und lauschten stumm, und falteten
die Hände;
da jedes Wort in unsere Seele drang.
Wir wissen alle, einmal kommt
das Ende,
das uns befreien wird, aus Not und Zwang.
Was ist
ein Jahr der Zeitenwende,
was ist da ein Gesetz, das hämmen
will?
Der reine Glaube, den du uns gegeben, durch Punkt
bestimmend,
unser junges Leben: Mein Führer, du allein, bist
Weg und Ziel.»
Als ich das meinem dreizehnjährigen mittleren Jungen heute Abend vorlas:
«Du, wer ist da wohl gemeint?» -
[Er antwortete:]
«Der Herr Christus.»
Diejenigen, die im Führer, wie es eben hiess, Weg und Ziel sahen, mussten diejenigen hassen, die Jesus Christus als Weg und Ziel erfuhren. - Davon werden wir hören.
[W. Busch tritt auf die Bühne.]
Meine Begegnung mit der geheimen Staatspolizei. - Also ehe ich zum eigentlichen komme, muss ich etwas – zwei, ziemlich ausführliche Vorbemerkungen machen. Ich darf Ihnen sagen, dass ich diese Zeit, das Dritte Reich, bewusst als Christ erlebt habe. Das Wort «Christ» sagt Ihnen nicht viel. Da kann man alles drunter verstehen, nicht?! Was man nicht definieren kann, das sieht man heute als Christlich an. [Gelächter im Publikum.]
Igendwann in meinem Leben, als ich ein junger Mann war, bin ich auf Jesus gestossen. Wie wenn man mit dem Auto gegen eine Mauer fährt. So, dass ich nicht mehr ausweichen konnte. Und der, der am Kreuz für die Welt gestorben ist, der wurde mein Herr. Und das verändert s'Leben so vollständig, dass man geschieden ist von denen, die ihn nicht kennen. Ich habe das Leben damals, genau wie jetzt, erlebt als Jünger Jesu Christi. Das wird meine ganzen Ausführungen bestimmen. Und ich fühl mich verpflichtet, Ihnen das von vornherein zu sagen. Es ist heute bisschen üblich geworden, dass man mit irgendeinem Thema anfängt, und dann so heimlich am Schluss mit dem Christentum erscheint. Ich habe das nicht so gern. Darum leg ichs zum vornherein auf den Tisch. Ich bin Jesusjünger, und wünschte Sie würden es alle. - Ist das klar?! [Publikum schweigt besonnen.] - Danke!
Und die zweite Vorbemerkung - [Gelächter im Publikum, auf das 'Danke'.] - die zweite Vorbemerkung: Es ist die grosse Gefahr, dass wenn man von sich selber und seinen Erlebnissen erzählt, dass es so ein bischen rauskommt, - na wie ne Rechtfertigung.
«Ich hab mich einigermassen anständig durchgebracht. - So.»
Und darum muss ich hier was dazu sagen: Ist Ihnen Rolf Hochhuth ein Begriff? [vereinzelt im Publikum: Ja.] - Ich hoff es. Wenns keiner ist, der schweige beschämt. [Gelächter im Publikum] Das ist also ein junger Lektor, der ein Schauspiel geschrieben hat: «Der Stellvertreter». Mit dem Stellvertreter ist der Papst gemeint. Dieses Schauspiel behandelt ein grosses Thema, nähmlich dies:
Die Kirche hat geschwiegen, als vor ihren Augen Juden abtransportiert wurden, nach Ausschwitz. Der letzte Akt spielt grauenvoll in Auschwitz, an den Verbrennungsöfen; - Feuer Verbrennungsöfen überlodern den ganzen fünften Akt. - Und der Papst wusste davon. Er konnte aus dem Fenster sehen und sehen, wie die Leute verhaftet wurden; die Juden.
Die katholische Kirche, das wissen Sie, das war glaub ich in Stuttgart, hat gegen diese Aufführung demonstriert. Ich bedaure das aufs tiefste. Das muss die un-intelligente Schicht des Katholizismus gewesen sein. Denn es ist ganz offenbar, dass Hochhuth sagen will: Nicht bloss der Papst, sondern ihr Kirchen, habt geschwiegen, als die Juden vor euren Augen abtransportiert wurden, nach Auschwitz, in die Verbrennungsöfen.
Und – als einer der die Zeit miterlebt hat – kann ich hier nur sagen, diese Anklage Ihrer Generation gegen uns, ist richtig. Und dass man demonstriert dagegen hielt ich für viel richtiger, wenn auch die Kirchen sagten: «Jawohl, wir haben schrecklich versagt».
Wenn ich geschrieben hätte, wie ich heute weiss, ich hätte schreien sollen, ständ ich nicht hier, sondern werde in Plötzensee hingerichtet.
Und wenn jemand meiner Generation sagt, sie haben nichts gewusst und ich bin unschuldig daran: Dann glauben Sie ihm das nicht!!! - Hier ist ne Schuld meiner Generation, verstehen Sie. - Wir waren beschäftigt, unsere kleinen Aufgaben zu retten. Wir waren so im Getümmel des Tages, dass wir nicht wussten wie wir es tun sollen – gewiss, wir haben, das hat der Papst auch getan, da und dort Juden gerettet, und versteckt. Wie schwierig das war, das mag Ihnen ein kleines Beispiel zeigen.
Ein Augenarzt in Essen, der sollte nach Amerika, in die Schweiz zuerst. Und da war immer so ein Hickhack, mit den Stellen, ob man ein Vermögen mitnehmen kann. Sie wollten ihn ohne Geld nicht reinlassen, in die Schweiz. Und da war ich damals in der Schweiz, und rief vom Zürcher Hauptbahnhof aus, von der öffentliche Fernsprechstelle, diese Vermittlungsstelle, die Juden rauslotzte, in Zürich Oerlikon, ein Vorort an und sagte:
«Sie müssen Doktor Elsberg umgehend rausholen! Der ist in allerhöchster Gefahr; auch wenn er sein Vermögen nicht mitkriegt.» -
Es ist gelungen.
Aber ein halbes Jahr später hat die Staatspolizei mir wörtlich dieses Gespräch auf den Tisch gelegt. Dass ich in Zürich in der Schweiz von der öffentlichen Fernsprechstelle, mit dieser Judenvermittlungsstelle in Oerlikon geführt habe. Die haben mir in der Schweiz das Telefon abgehört. - Das ist natürlich schwierig. - Natürlich haben wir da und dort was getan. Aber, wir haben nicht geschrien wie wir hätten schreiben sollen: Hier ist millionenfacher Mord. - Das ist ne Schuld, verstehen Sie? Und das möchte ich ganz offen sagen.
Und wenn ich von meinen kleinen Erlebnissen erzähle, dann ist das wie ne Klammer wo das Minuszeichen davorsteht!
Wie ein Mensch meiner Generation leben kann, ohne Vergebung der Sünden, ist mir rätselhaft. Und ich sage Inhen noch gleich wie ein Mensch ihrer Generation leben kann ohne Vergebung der Sünden, ist mir genauso rätselhaft. - Denn Schuld ist immer Schuld, vor Gott, nicht vor dem Gericht, wissen Sie.
Und nun komm ich zum eigentlichen. Also meine Begegnung mit der Staatspolizei – ich kam natürlich in Lebhafte Berührung mit der Geheimen Staatspolizei, weil ich Jugendpfarrer in Essen war. Ich hatte ein grosses Klubhaus, in dem hunderte von jungen Burschen zwischen 14 und 20 Jahren, sich sammelten. Das steht, wieder aufgebaut, und die Arbeite blüht heute noch in Essen. Heisst nach dem eigentlichen Gründer der Arbeit: Weiglehaus. Direkt beim Essener Hauptbahnhof – kommen Sie mal nach Essen und besuchen das Weiglehaus. Sonntagnachmittgas waren da sieben- achthundert junge Burschen, 16, 17, 18 Jahre, unter Gottes Wort. War ein Grossrahmen-Programm, aber es gab keinen der nicht in den ersten drei Minuten erfuhr, dass wir überzeugt sind, dass ein Leben ohne Jesus – kein Leben ist, sondern Tot! - Und das war natürlich ärgerlich. So ne Arbeit. Die Nazis sagten:
«Und wenn so ein Pfarrer ein Mütterchenverein hat – lass ihn! Das stirbt aus!»
Aber hier hunderte von jungen Burchen, das war eine schlechte Sache.
Und da, schon im ersten Jahr, als wir mit der Staatspolizei noch gar nichts zu tun hatten, gab es schon gefährliche Reibungen zwischen meiner Arbeit und der Partei. Trotzdem eigentlich – also, wir waren noch erlaubt, wissen Sie – es gab keinen Grund für Reibung – aber, sie waren da. Waran entstanden sie. Sie entstanden an der Grundfrage der damaligen Zeit. Nun passen Sie gut auf!
«Wer hat eigentlich über unser Gewissen zu verfügen?»
Die jungen Burschen die in mein Weiglehaus kamen, in das Jugenhaus, die wahren gelehrt, dass unser Gewissen, gebunden werden muss ans Wort Gottes. Luther sagte auf dem Reichstag zu Worms:
«Mein Gewissen ist gefangen in Gottes Wort.»
Lassen Sie es mir etwas ausführlicher erklären. Sehen Sie haben alle ein Gewissen, jeder. Das heisst, wir wissen alle es gibt Gut und Böse. -
Aber wer bestimmt denn was Gut und was Böse ist. Nach welchem Herrn richten Sie sich denn.
«Wer verfügt denn über Ihr Gewissen!» -
Die öffentliche Meinung? - Oder Ihre Arbeitskollegen? Etwa, in sexuellen Fragen, ja? - Oder im Umgang mit Geld. - Oder mit der Wahrheit. Mit Lügen. - Wer hat da ihnen zu sagen was Gut und was Böse ist?
Luther sagt mein Gewissen ist gefangen in Gottes Wort. - Meine jungen Kerls haben gelert, der Herr Jesus muss über mein Gewissen verfügen. - Und nun kam der Staat mit der Partei, der Nazi-Partei, und sagten:
«Wir sagen was Gut und was Böse ist.»
Verstehen Sie, gleich von Anfang an war hier der Griff ins Innerste des Menschen. Begreifen Sie das? Ins Innerste des Menschen. Die Partei bestimmt was gut ist. Das, das gibt ganz praktisch Reibungen.
Meine jungen Burschen gingen sonntag Morgens in die Kirche. Denn es ist ein Gebot: Du sollst den Feiertag heiligen. Ich hab ihnen gesagt, ihr braucht nicht in meinen Jugendkreis kommen, das ist kein Gebot Gottes. Aber ob ihr in die Kirche geht oder nicht, das ist Gebot Gottes. Und dann gingen sie. -
Nun setzte die Schule morgens um etwa acht Uhr ein Marsch an mit der Hitlerjugend. Da standen die jungen Burschen, und erklärten:
«Bardon wir gehen in die Kirche.» -
Es hat mich damals ungemein gepackt wie meine jungen Kerle an solchen ganz kleinen Fragen schon begriffen man muss von Anfang an Gott gehorsam sein.
Oder etwa, nicht wahr, in Schullandheim, da übernahm die Hitlerjugend sofort die äussere Gestalltung. Da gab es ein Tischgebet das hiess so:
«Lieber Herr Jesus bleib uns fern, wir essen ohne dich ganz gern. - Amen.» -
Das war das Tischgebet der Hitlerjugend.
Dann.... was macht man jetzt? Dann standen da und dort meine jungen Burschen auf und sagten:
«Erlaubt wir kommen nach diesem Tischgebet. Wir hören diese Lästerung nicht an.»
«Das ist Dienst, dass ihr hier seid.» - [Antwort an die Jungen]
Verstehen Sie? Es kam sofort an solchen kleinen Stellen zum Konflikt. Ich könnte Ihnen also hundert Dinge... aber das würde zu lange aufhalten. -
Sind wir eigentlich aus der Situation heraus, liebes junges Volk? Kommen wir eigentlich im ganzen Leben nicht permanent, in die Situation, dass hier ein Gebot Gottes steht und da die öffentliche Meinung oder der Zeitgeist? - Wem wollen Sie Ihr Gewissen anvertrauen. Sagen Sie das, dafür müssen Sie klar sein, sehen Sie, darum sage ich:
«Wie kann ein Mensch leben ohne Gott?»
Ich weiss, dass Gott sehr unerkennbar ist. Aber er hat den Himmel zerrissen und ist in Jesus zu uns gekommen. Dieser Jesus ist die grösste Dynamis, die grösste Gewalt dieser Erde. Er ist am Kreuz für uns gestorben. Und er ist von den Toten auferstanden. Er ist unter uns. - Dem hab ich mein Gewissen gegeben. Der darf mich beherrschen. Sie müssen sich entscheiden, wen Sie über Ihr Gewissen entscheiden lassen. Wenn mir einer sagt, ich weiss von alleine, was Gut und Böse ist, sage ich: hier. [Busch zeigt hier eine Bewegung.] Das ist eine Geste ohne Worte. Es verfügt jemand über Ihr Gewissen, wissen Sie. Es verfügt jemand darüber.
Und das gab also die ersten grossen Konflikte, äh, die Frage nach dem Gewissen.
Und sehen Sie, das zweite, was wir im ersten Jahre lernten, wie unvorbereitet wir auf eine solche Zeit waren. Wie hilflos wir selber waren, was eigentlich zu tun ist. Das war also das erste Jahr noch die Hilflosigkeit.
Ich will hier einfach erzählen, sehen Sie, da hatte ich ne, da hatte ich, es war unklar zum Beispiel, dürfen wir Freizeiten machen oder nicht. Unsere Bibelfreizeiten. Natürlich legten wir es an, um nicht zu arg an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich schickte zwei Mann los. Und die fanden im Fichtelgebirge einen einsamen Berg in tausend Meter Höhe. Da konnten wir so n'paar Zelte aufschlagen mit vierzig oder fünfzig höheren Schülern. So Primär und Sekundar; achte- und neunte Klasse, sagen Sie hier glaub ich, nicht? -
Und wir wir nun da ankommen, da hören wir, in der nähe ist ein grosses Hitlerjugendlager. Das war natürlich peinlich, denn die machten sich immer eine Ehre draus, uns, äh, Schwierigkeiten zu machen. Und die Polizeit war ängstlich genug ihnen zu helfen. Da brachen wir unsere Zelte ab, und wohnten in einer kleinen Scheune. In dieser Höhe war nämlich so eine Baude, eine Baude nennt man das da oben, so ein Gasthaus. Und da hatten se so ein Wirt reingesetzt; vor der Machtergreifung. Und der hatte in irgend so ner Saalschlacht ein Bier auf den Kopf bekommen, und da hatte er so einige Zellen zerstört [Gelächter im Publikum.] und war nicht so hundert prozentig dabei.
Und der war also Wirt da oben, ein Bursche, so ein Ur-Bayer. Und wir haben uns also sehr angefreundet.
«P-Pastor B-Busch, wenn ihnen einer was tun will – ich bin alter Kämpfer.» -
Ich sagte:
«Lenz!»,
nicht? [Lautes Gelächter im Publikum.]
Ja, und dann tat uns einer was. Eines Tages kommt einer schreckensbleich gesausst und sagt:
«Ein Gendarm3 ist da. Sie sollen sofort ins Gasthaus rüberkommen.»
Ich - das war selbstverständlich, dass es erste Anordung war, ihr habt jetzt ne Gebetsgemeinschaft, während ich da rübergehe. Und wärend meine Pennäler4 sich da sich hinter die Scheune ins Gras hockten und mit Jesus redeten – wir rechnen damit, dass er lebt – ging ich nun da hin. -
So ein Gendarm, schweisstriefend vom Tal raufgestiegen. - Da ist die Stadt [?] für Literaturbelesene unter Ihnen, äh, ich bestell also gleich ein Kaffee; der Wirt – der alte Kämpfer, hatte so gute Heidelbeerpfannkuchen, nicht?, und ich bestellte mal für den Gendarm, dann endlich:
«Was haben sie aufm Herzen?» -
Und da zieht er ein Brief raus, Geheime Staatspolizei. -
«Das Lager ist umgehend aufzulösen. Pfarrer Busch hat sich morgen früh, aufm Landratsamt»,
- da war so eine Stelle eingerichtet, -
«in Wunsiedel zu melden.» -
Ich wurde bleich. Ich ging zu meinen Leuten zurück.
«Habt ihr gebetet?» -
«Ja. Pastor wir rechnen mit, das unser Herr uns hört.»
Rech ich auch mit.
Nächsten Morgen machte ich mich auf, ins Tal runter, aus 1000m Höhe. Wie ich ging stand auf einmal mein Halali5 mit seinem Gamsbart6 auf dem Hut da, mein alter Kämpfer, und sagt:
«Ich geh mit! [Gelächter im Publikum] – Wissen sie, wenn sie bei den Behörden sind, dann geh ich in den Kneipen rum, da sitzen all die alten Kämpfer und erzähl denen mal, was los ist.» - [Gelächter im Publikum]
«Ist ja herrlich. Sie machen das Volkgemurmel im Hintergrund!»,
nicht war. Und dann gingen wir beide also runter, und an der Bahnstation war so ein Wirtshaus. Wir fragen, wo wir die Fahrkarten kriegten, die Frau war in der Waschküche, und sagte:
«Sie sind im Küchenschrank, da ist ne Kasse, tun sie das Geld rein, die Fahrkarten liegen daneben.» [Lautes Gelächter im Publikum.]
Na, und so kommt man zu Fahrkarten, und so fuhren wir mit dem Bähnchen nach Wunsiedel. Wenn man einmal mitgefahren ist, versteht man den ganzen Jean-Paul7.
Und dann also trennen wir uns, er ging also die alten Kämpfer aufsuchen, um Stimmung zu machen; und ich, äh, die Dinge damals waren noch sehr im Plus, nicht war, so stand ich nicht der Gestapo gegenüber, sondern einem jungen Landrat. Einem Preussen, der in dieses Bayrische Städtchen da reinpasste wie also Schnee zum Winterspiel nach Engst. [Gelächter im Publikum]
Jetzt, der fährt auf mich los.
«Wie können Sie ne Freizeit machen?!»
Ich sag:
«Das ist nicht verboten.» -
«Also, ich diskutiere mit ihnen nicht; Anordung von München, das Lager ist umgehend aufgelösst!» -
«Schräg»,
sag ich.
«Schräg. - Ähm, darf ich ihnen noch folgendes erklären.» -
«Ja aber schnell!» -
Ich sag:
«Ganz schnell! Wir sind mit dem Omnibuss gekommen und fahren mit dem Omnibuss zurück. Der Omnibuss ist bereits bezahlt. Der kommt in 14 Tagen. Wie ich die Jungen jetzt nach Hause befördern soll, ist mir rätselhaft, ich hab weder Geld noch Möglichkeiten – das Lager aufgelösst, jetzt schick ich ihnen morgen die 50 Burschen runter Herr Landrat, dass sie Geld haben, dass sie sie heimspendieren und Mittel, sie zu verpflegen.» -
«Ja, aber hören sie, die wollen sie einfach hier her schicken?» -
«Ja was soll ich denn sonst tun?» -
«Ja aber, wie geht das zu?» -
«Ja die erscheinen hier, brüllen vor hunger. - [Lautes Gelächter im Publikum.] Und sie werden für Essen sorgen! - Vielleicht singen sie noch einige unserer geistlichen Lieder; die werden sie schon in Bewegung bringen!» -
Ich seh den Mann noch da stehen, sagt er:
«so geht das doch nicht!» -
Ich sage:
«Natürlich gehts so nicht, wer hat denn behauptet, dass es so ginge, sie doch nicht, ich!» -
«Ja, also da muss ich in München rückfragen.»
Ich sollte also noch nichts tun, ich kriegte also Nachricht.
«Die Sache ist also nicht aufgelösst?» -
«Nein, warten Sie die Nachricht ab!» -
«Ok.»
Ich fischte meinen Halodrie wieder auf, nicht wahr, fuhr zurück. Und wir gingen ins Lager zurück; Primarer8 empfingen mich da, nicht wahr, dass wir schon wieder einen Tag gewonnen haben.
War herrlich, am nächsten Morgen, die Bibelarbeit, unter Tannen, wissen Sie, die Sonne schien, in 1000m Höhe. Das war ein Geschenk, nicht? Und hier wurde das Wort von diesem Sohne Gottes gesagt. Der Sünder errettet. In so einer Umgebung bekommt das Wort Gottes so eine ganz neue Herrlichkeit und Gewalt. In dem Tag passierte nix, wir hatten noch mal einen Morgen mit ner herrlichen Bibelarbeit. Und dann kommt einer gesausst:
«Der Gendarm ist da.» -
Na, ich bestell wieder Heidelbeerpfannkuchen, bestelle Kaffee. Und, dann zieht er einen Brief raus. - Augh, ich habe innerlich zu Gott geschrien, jetzt gib, dass ich die Nerven nicht verliere. Denn Sie müssen verstehen, man ist ja sehr sehr einsam, in der ganzen Geschichte, nicht? - Und da stand drin:
«Es bleibt bei der Verfügung, dass das Lager aufgelösst ist. Aber sie bekommen 14 Tage zeit, das Lager abzubrechen.' - [Herzhaftes Gelächter im Publikum.] - Wenn am so und sovielten noch ein Junge gesichtet wird, dann...»
Wir machten fröhlich unser Lager, schlugen die Zelte auf, zogen an jedem Tag wieder ein Zeltpfosten raus, und so... 14 Tage lang. - Aber, wissen Sie, das Schöne war dann doch, dass der Gendarm sagte:
«Jetzt freu ich mich für sie, dass das so gekommen ist.» -
Ich sagte:
«Intressiert sie das; ich nehme an sie sind katholisch, was ein evangelischer Pfarrer tut?»
Da sagt er:
«Ich möchte eigentlich gern mal mit ihnen sprechen.» -
«Oh?!» -
sag ich,
«schön!»
Heidelbeerpfannkuchen her. Und dann legt er los – ich war erschüttert.
Da sagt er:
«Ich hab neulich ne evangelische Beerdigung mitgemacht. Und da sangen'sn Lied. Und da kommt am Ende jeder Strophe vor: Mein Gott, mein Gott, ich bitt durch Christi Blut, machs nur mit meinem Ende gut. - Pastor Busch, wissen Sie. Wir müssten ja mal sterben; das geht mir auf meinen Gängen dauernd durch den Kopf. Mein Gott, ich bitt durch Christi Blut, machs am Ende gut. - versteh es aber nicht. Was hat das Blut Jesu dabei zu tun?» -
Und dann hab ich ihm gesagt:
«Sie sterben und sie stehen vor Gott. Und entweder nehmen sie all ihre Sünden mit, auch die, die sie geleugnet haben. Und es ist schrecklich, in die Hände des lebändigen Gottes zu fallen. Das steht im Neuen Testament. - Oder sie finden zu dem, der uns in vollmacht sagen kann: Dir sind deine Sünden vergeben. Zu Jesus, der sagen kann weil er für uns am Kreuz bezahlt hat. - Ich kann ihnen sagen, ich gehöre diesem Jesus.» -
Und dann sprachen wir miteinander.
Das schönste Ende kam, nach 5 Tagen kommt ein Junge gesausst und sagt:
«Der Schutzmann ist wieder da mit einem hohen HJ9-Führer.» -
«Och»,
sagten wir,
«jetzt fängt die Hitlerjugend wieder an. Die alte Geschichte.»
Ich werde geholt, ich komme rüber, Heidelbeerpfannkuchen, Kaffee. HJ-Führer:
«Heil Hittler!» -
Was ist er; ein Gebietsführer oder so was. Und dann hauts mich beinahe vom Stuhl; wie der Schutzmann sagt:
«Das ist mein Sohn. Und der ist hoher HJ-Führer. Und hat heute mehr zu sagen als ich. Und ausserdem ist er ganz Gottlos geworden. Und darum klappt es zuhause nicht mehr. Er ist derartig frech seiner Mutter. Wenn er auch mehr zu sagen hat, aber zuhause habe ich mehr zu sagen! Und es klappt nicht mehr.»
Und da hab ich ihm gesagt:
«Mein Junge; da oben am Berg ist ein Pastor, der sagt uns, wie alles in Ordung kommt. Wir gehen mal hin. Pastor Busch, erzählen sie mal dem dasselbe, was sie mir erzählt haben, von Jesus.» -
Nix von Auflösen.
Und wissen Sie, es ging mir damals auf, was ich bei der Staatspolizei immer wieder merkte, ach was der Mensch auch ist, oder was er markiert, hier dreht sich ein friedenloses Herz das nach Frieden schreit! Hier ist ein Herz, das weiss, es ist soviel Schmutz und Schuld da – wie werde ich frei? Wie komme ich ans Licht? Hier ist ein Herz das schreit nach Jesus! - Das hab ich immer mehr gelernt. Ich habe gelernt, den Menschen [?] zu glauben – das glaub ich ihnen nicht mehr sondern ich glaub ihnen, dass der Mensch von heute genau wie vor 2000 Jahren – ein armer Mensch ist ohne Gott. Der nichts nötiger braucht als, den Heiland, den Sohn Gottes, der den Frieden mit Gott schenkt.
Ich fragte mal den Junge:
«Klappts nicht zuhause?»,
«Nein.» -
«Bist du wie du sein sollst?»,
«Nein.» -
Ich nannte ihn einfach 'du'. Ich sagte:
«Du brauchst ein neues Leben.» -
«Brauch ich. - Wie geht das zu.» -
Ha! Und dann erzähl ich ne Stund lang von Jesus. Dann rief ich meine Burschen rein, dann sangen wir ihnen Lieder vor.
'Ha',
sagt der junge Gebietsführer,
'wenn wir sowas hier hätten!' -
Sehen Sie, ich wurde froh am Evangelium. Ich armer Hund da oben. Verjagt und rechtlos, nicht? Ich wurde froh am Evangelium.
Aber dann wurde es ernster. Das war das erste Jahr wo all das noch im Aufbau war. Die Staatspolizei war aufgebaut. Und dann fing die Zeit an, wo wir nicht mehr diskutierten und nicht mehr durch Lücken schlupfen konnten, wo man einfach um des Gewissens willen, ohne Verein und alles, um Gottes Wort zusammen kam. - Und wo dann immer wieder mich die starke Hand traf und ins Gefängnis warf.
Und jetzt muss ich Ihnen davon noch ein wenig erzählen. Ich erzähle Ihnen ein aufwühlendes Erlebnis, meine erste Verhaftung. Das war in Darmstadt.
Wir hatten damals eine evangelische Woche eingerichtet. Etwa zugleich in Darmstadt, Kassel und Mannheim. In Mannheim sprach ich am [?] über «Liebe und Ehre in der evangelischen Jugenderziehung». Da war die riesige Christuskirche in Mannheim, mit 3000 Plätzen, rammelvoll! Nachmittags um zwei! -
Das war Auseinandersetzung, Geisteskämpfe; wobei wir immer mit dem Leben spielten; denn sie konnten bei jedem Satz sagen: «Du haben die offizielle Weltanschauung der Partei angegriffen.»
Ich hatte in Mannheim gesprochen und fahre gegen Abend nach Darmstadt; ein Freund holt mich im Auto ab, und sagt:
«Mein lieber Wilhelm»,
so heiss ich nähmlich [Gelächter im Publikum.] – ich bin aus der Zeit wo der Kaiser Wilhelm noch regierte, wie heissen sie denn, Adolf oder? - [Gelächter.] - Konrad oder? - Wie heissen Sie? -
Und sagt er:
«Also die Pauluskirche die ist voll; aber die Staatspolizei, und die Uniformierte Polizei hat sämtliche Türen besetzt, um dich festzunehmen, um dich zu hindern, zu reden. Ich setzt dich in der Seitenstrasse ab. Du musst alleine sehen, wie du reinkommst. - Ich warte den ganzen Abend auf dich in der Seitenstrasse.»
Und dann setzt er mich ab, da sagt er:
«Ich bleibe hier stehen, falls du abhauen musst. Jetzt sieh, wie du weiter kommst.»
Und dann geh ich die Strasse entlang, komm auf den grossen freien Platz, die grosse Pauluskirche, furchtbar viel Menschen, wilde Aufregung – und in den Kirchtüren, den erkleuchteten, es war draussen schon dunkel, da stand Staatspolizei, die erkannte man an ihren Gesichtern. Das war ne Mischung von Spiessbürgern und Bulldogge. [Gelächter] Und uniformierte Polizei. - Und kontrollierten jeden, der noch rein wollte.
Da war mir klar, kann ich nicht rein. Draussen hatte sich Volk gesammelt, neugierig, nicht? - Und ich stand unter dem Volk und sah zu, wie sie mich da suchten. [Gelächter] Da sah ich, hier komm ich nicht durch; wollte doch meine Predigt halten.
Und, nun sah ich mir das Gelände an. Da war die Kirche und neben der Kirche war ein Gitter, dahinter war so ein stiller Hof. Und, der Hof wurde am andern Ende abgeschlossen, mitten im Pfarrhaus. Da sah man das Parrhaus, das Gitter war vor dem Pfarrhaus, und dieser Hof. Und der Eingang im Pfarrhaus ging in ne Nebenstrasse. Wie ich mir das Gelände so ankuckte, so als alter Offizier aus dem ersten Weltkrieg, da sagte ich mir: Die einzige Möglichkeit hier reinzukommen ist durch den Hof, der ist nicht bewacht. In den Hof kommt ich vom Pfarrhaus – ob es nicht möglich ist, durchs Pfarrhaus in den Hof zu gehen. -
Ich gehe um die Ecke, da ist das Pfarrhaus dunkel, die Haustür steht offen. - Ist das nun ne Falle, stehen die drinnen und warten, dass ich komme? - Oder hat der Pfarrer mir die Tür öffnen wollen. - Können Sie sich vorstellen, wie man mutterseelenallein in diesem ganzen Betrieb da steht vor der offenen Tür – soll ich durch oder nicht? - Ach wissen Sie, man sagt der Mensch heute ist sehr einsam, ich glaub es. Aber so hab ich Einsamkeit selten gespürt, wie in dem Augenblick. Völlig preisgegeben. Und ich kanns nur so bezeugen, in dem Augenblick wo ich diese grauenvolle Einsamkeit spürte – kann mir keiner eine Entscheidung abnehmen – war mir, als ob ich greifbar spürte, ER ist neben mir.
Jesus hat gesagt:
«Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.10»
Ich wurde so glücklich, das kann ich ihnen gar nicht sagen. ER hat mich erkauft, ER hat sein Blut bezahlt, ER lebt, ist bei mir. Ich bin auf der Seite des Siegers. Ich möchte ihnen nochmals sagen: Schieben Sie es nicht so lange auf, Christ zu werden. Ihr Leben kommt auch in solche Kriesensituationen. Da muss man's haben! Verstehen Sie?! Da muss man's haben! Da kann man's nicht ersuchen. -
Und dann ging ich da hinein, in dieses dunkle Pfarrhaus. Und dann packt mich jemand am Arm; flüstert:
«Kommen Sie mit!»
War das Staatspolizei? Führt mich ne Kellertreppe runter, ich stolpere so halb. Durch nen Keller. Türe durch den Heizungskeller, ich merk, ich bin im Heizungskeller der Kirche, das war offenbar unter dem Hof; aber stockdunkel, nicht? - Und der Mann, der mich führt, macht mir ne Taschenlampe an, zeigt auf ne kleine Wendeltreppe und sagt:
«Gehen sie da rauf!»
Ich geh rauf und bin auf einmal in der Kirche. Rammelvoll. Ich wusste nicht, wer der Mann war. Denn ich bin so rausgekommen ohne ihn zu treffen; und habe erst nach ein paar Jahren beim Kirchentag erfahren wer es war. Da steht dort Generalsekretär der Oekumene Visser't Hooft, ein bekannter Mann; und sagt:
«Bruder Busch, sie sind mein Kirchenkampf Erlebnis!»
Ich sag:
«Wieso?»
«Ja, ich war der Mann in Darmstadt! Ich war gekommen, um ein wenig mitzukriegen, und hab dem Pfarrer gesagt: 'Wenn der Busch klug ist, kommt er hier rein! - Aber sie dürfen ihn nicht reinlotsen, sonst werden sie verhaftet! Gehen sie mit ihrer Familie ab und lassen mich das als Ausländer das machen!»
Ausländer konnten mehr riskieren, nicht? Das erfuhr ich erst nach Jahren.
Und nun war ich in der Kirche. Und ging nach vorne – ich hatte einen hellen Regenmantel – dem ersten besten in den Arm geworfen – auf die Kanzel – von der Kanzel holten sie nie jemand runter.
Mein Thema war: «Jesus Christus der Herr.» Seit dem ich in das Pfarrhaus gegangen war, war eine Ruhe über mich gekommen. Da stand die Polizei uniformiert und andere und wollten mich kriegen – und ich stand oben und konnte nur sagen:
«Lassen sie jetzt mal alle Unruhe sein, wir wollen jetzt vom herrlichsten reden was es gibt. Von dem, der aus der ewigen Welt zu uns gekommen ist als Heiland, von Jesus.»
Es waren Lautsprecher nach draussen gemacht, weil die Kirche von vornherein nicht reichte. Und die Staatspolizei hatte furchtbar viel zu tun, das schleunigst abzuschneiden, dass wenigstens draussen die Leute diese schreckliche Botschaft nicht hören. Nicht?! -
Und dann hab ich ne Stunde gesprochen. Mein Generalthema war eigentlich nur dieser Liedervers:
«Wussten's doch die Leute wie's beim Heiland ist, sicher würde mancher heute noch ein Christ!»
Gott gab mir eine Fröhlichkeit, dass ich nur einfach zeigen konnte, was es heisst, dass der Mann von Golgatha, Ströme von Vergebung und Gnade in mein Leben gibt. Dass ich mit dem Auferstandenen leben kann; das gibt ja – verstehen Sie, das ist was wundervolles, nicht?! - Ich bin dann runter, und ebenso wieder mein Mantel gepackt. Sofort, die Leute waren damals, die haben schnell geschaltet, wissen sie, sofort waren 20 um mich rum, die Polizei kam gerannt:
«Wo ist Pfarrer Busch?!»
- Nicht?! Und da waren zuerst die 30 Leute die sie erst konrollieren; ist er das? [ Gelächter... ] - ich habe Zeit gehabt. In der Zeit war ich also entronnen; durchs Pfarrhaus, durch den Keller raus, und dann stand ich draussen und sah mich dieses lächerliche Affentheater an wie sie jeden rauskommenden kontrollierten. - Sie hatten Fotografien von mir. Ist er das, oder nicht? - Und ich stand drassen und sah mir das friedevoll an. [Gelächter...]
Dies war der erste Teil des Erlebnisses; ich denke, es wird Zeit, dass ich verschwinde. Ich gehe zu meinem Auto hin, und dann – da war ne Laterne in so ner stillen Strasse – und ich denke, der ist eingeschlafen, der sitzt so regungslos, ich dreh den, ich sage:
«Günther!» –
und da kommt hinter dem Auto einer hervor und sagt:
«Stopp! Geheime Staatspolizei, sie sind verhaftet!»
Darum sass der so regungslos, dem hatten sie also befohlen, 'sie rühren sich nicht'. Dass er mich nicht warnte. Und nun wurde ich zurückgeschleift in die Sakristei11 der Pauluskirche. Das gab natürlich ungeheures Aufsehen. Es wurde mir gesagt:
«Sie müssen heute abend noch abfahren.»
Und da hab ich gesagt:
«Das kann ich nicht. Ich muss morgen früh hier predigen.»
«Sie reisen ab!»
Ich sage:
«Wir sind im deutschen Reich, sie können mich nicht aus Hessen ausweisen. Na, ist doch lachhaft»,
nicht? -
«Also, wir sezten sie in die Bahn.»
«Mit dem nächsten Zug fahr ich zurück. Ich werde morgen früh hier predigen.»
«Dann müssen wir sie verhaften!!!»
Bitte, ich wusste noch nicht, das das bedeutete. Ich wusste es wirklich nicht.
Und dann kam ein schrecklicher Augenblick. Wo sie mich in ein offenes Auto setzten. Vorne nen SS-Mann, einer daneben; und hinten ich und der Kommissar. Grosser Mercedes war es, ein bisschen altmodischer. - Und ringsum aber nun schon tausende von Menschen – die von innen waren raus gekommen, und drassen waren Leute dazugekommen; das spricht sich ganz schnell rum, damals – und ich hatte Angst, wenn die Leute jetzt mich befreien, das wär schrecklich, was mir geschehen könnte. Denn es würde sofort meine Familie festgenommen. Ich kann nur zu Gott schreien, dass die Leute ruhig bleiben. -
Und dann geschah etwas, was ich mein Leben lang nicht vergesse – wissen Sie, es war eine Erregung, eine knisternde Spannung, nicht? Die Leute schrien:
«Der hat doch gar nicht politisch geredet! Jesus Christus der Herr!!! - Darf man davon nicht mehr reden?!»
Und dann steht ein junger Mann oben auf der Kirchtreppe. Ich hab ihn nie wieder gesehen. Und ruft über die erregte Menge hin den Vers von Blumhardt.
«Dass Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht. Sein wird die ganze Welt. Denn...»
- er sagte das mit Vollmacht -
«denn alles ist nach seines Todes Nacht in seine Hand gestellt.»
Was es bedeutet, neben der Allmacht Hitlers, die Allmacht Jesu Christi öffentlich zu proklamieren! -
«Nachdem er am Kreuz sich hat ausgerungen hat er sich zum Thron sich aufgeschwungen. Ja, Jesus siegt!»
Ehe sie ihn packen konnten war er in der Menge verschwunden.
«Fahr doch los!»,
brüllt mein Kerl dem Fahrer zu. Und der ist schon lange am wurschteln, und der Wagen springt nicht an. Es war, als wenn ihn einer hinten festhielte. Guter Wagen, sicher, nicht? -
«Fahr doch!!!»
Da stimmt die Menge an:
«Ist Gott für mich so trete gleich alles wider mich. So oft ich ruf und bete weicht alles hinter sich!»
Ein Brausender Gesang!
«Hab ich das Haupte Jesu zum Freunde, und bin geliebt bei Gott. Was kann mir tun der Feinde. Und wie der Widersacher Rott?»
«Fahr doch!!!»
Dann fuhr er. - Gott hat ihn festgehalten, das mussten sie erst mitkriegen, dieses Zeugnis.
Und ich ging in die Zelle hinein – nun, müssen Sie denken diese Zellen – wir kamen nie in ordentliche Gefängnisse, sondern in die Gefängnissse der Staatspolizei. Das waren besondere Gefängnisse. Ich hatte meisstens, ausser einmal, eine Zelle, die war so breit, dass wenn ich die Arme anwinkle da hatte ich beide Wände in der Hand. So. Da oben ein Fenster; zweieinhalb Schritte hin. Da werden sie nach zwei Tagen wahnsinnig. Nichts zu lesen. Kaum zu essen. Ich dachte, ich werde verrückt in diesen Zellen. -
Und dann erlebte ich immer dasselbe. Dass mir auf einmal, an der Grenze des dunklen Reiches, aufging: Mensch, du gehörst doch dem, der dich erkauft hat für Gott. Und Gott lässt sein Eigentum nicht los. Und ich kann es nur so ausdrücken: Dann kam Jesus zu mir in die Zelle. Da verlieren sie alle Schwärmerei in diesen schmutzigen Gestapo-Zellen. Da lernen Sie die Realitäten kennen, die Wirklichen. Da lernt man sein Herz kenne, wo Gott mir alle meine Sünden vorhielt, ich sah auf einmal, wie ich bin: ein verlorener Mensch. - Und dann sah ich Jesus für mich gekreuzigt. Und er kam zu mir.
Als meine Frau mich mal sprechen durfte bei einer Verhaftung da sagt sie:
«Wie siehst du aus?! Bleich und unrasiert und mager.»
Ist schon längst vorbei, nicht?! [ Verhaltenes Gelächter... ] Ja. - Und da sagte ich:
«Moment mal, um euch muss man Angst haben. Wieviel Zeit habt ihr zum Beten? Wieviel Zeit hast du, um Gott zu loben? - Mein Tageslauf ist so: Von 7 bis 8 Gott loben; von 8-9 Fürbitte tun für andere, von 9-10 die Psalmen hersagen die ich kann, von 10-11 mach ich Turnübug, damit ich nicht einroste, von 11-12 fang ich wieder an Gott zu loben. Dreimal eine volle Stunde Gott loben!»
Da war das eine Zelle von Herrlichkeit Gottes! Ich sagte:
«Um euch muss man Angst haben! Die ihr ja gar nicht mehr mit der Wirklichkeit, mit der lebändigkeit Gottes rechnen. Um euch muss man Angst haben. Um mich da nicht.» -
Ich danke Ihnen fürs Zuhören. [Lang anhaltender, kräftiger Applaus.]
– ENDE –
Wilhelm Busch (Pfarrer) Wilhelm Busch (* 27. April 1897 in Elberfeld, † 20. Juni 1966 in Bremen), Pfarrer, Evangelist und Schriftsteller. Wilhelm Busch, 1897 in Elberfeld als Sohn des Pfarrers Dr. Wilhelm Busch geboren. Seine Mutter entstammte dem Schwäbischen Pietismus und zwar der Familie Kullen aus Hülben bei Urach. Nach seinem Abitur war er als junger Leutnant im Ersten Weltkrieg. Dort kam er zum Glauben an Jesus Christus. Nach seinem Theologie-Studium in Tübingen arbeitete er als Pfarrer in Bielefeld und später in den Bergarbeiterbezirken des Ruhrgebiets. Dort war er jahrelang Jugendpfarrer im Weigle-Haus in Essen. Im Dritten Reich brachte ihn sein Glaube und der Kampf der Bekennenden Kirche öfters ins Gefängnis. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er als reisender Evangelist tätig. Werke: «Jesus unser Schicksal.» |
Quelle: |
Audiodatei (mp3 (16
kbit/sec)): |
Worte und Begriffe, die im Vortrag vorkommen, und womöglich heute vielen «fremd» sind.
Drittes Reich |
Der Begriff Drittes Reich im Zusammenhang mit der Zeit des Nationalsozialismus steht für das Deutsche Reich (ab 1938 "Großdeutsches Reich") vom 24. März 1933 bis zum 8. Mai 1945. Die Bezeichnung "Großdeutsches Reich" wurde bereits ab 1938 nach dem Anschluss Österreichs verwendet. Die NSDAP übernahm den Begriff Drittes Reich, der durch ein Buch von Arthur Moeller van den Bruck politische Bedeutung erlangt hatte, für ihre Zwecke, primär für Propaganda, mit der suggeriert werden sollte, dass der von den Nationalsozialisten propagierte Staat in der Nachfolge des von Heinrich I. (919 - 936) gegründeten und bis 1806 in Form des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bestehenden 1. Reichs und des 2. (kleindeutschen) Reichs Bismarcks von 1871 stehe. Die Nationalsozialisten propagierten es auch als Tausendjähriges Reich, da es nach den Vorstellungen Adolf Hitlers tausend Jahre Bestand haben sollte. Tatsächlich belief sich die Dauer auf zwölf Jahre. (Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Drittes_Reich) |
Gestapo, |
Gestapo ist die Abkürzung für die "Geheime Staatspolizei" in der Zeit des Nationalsozialismus. Sie war als "politische Polizei" dem Ministerium des Innern unterstellt und wurde von Heinrich Himmler geleitet. Sie hatte schrankenlose Machtbefugnisse, für sie galt nicht das allgemeine Polizeirecht und sie war deshalb ein gefürchtetes Machtinstrument der Nationalsozialisten. (Quelle, Teilauszug aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Gestapo) Anmerkungen von Busch, während des Vortrages: Geheime Staatspolizei. Was ist die Geheime
Staatspolizei? Die Folgen: Misstrauen unter dem Volk. Das ganze Volk wird zum Heuchler. Das Recht ist machtlos. «Keine Sache des Rechtes kann mehr gewinnen; das Recht ist Ohnmächtig geworden.» - «Darum wird das Gesetz kraftlos, und das Recht kommt nimmermehr hervor; denn der Gesetzlose umzingelt den Gerechten: darum kommt das Recht verdreht hervor.» (Bibel: Habakuk 1,4) |
Hitlerjugend (HJ) |
Die Hitlerjugend (HJ) war die Jugend- und Nachwuchsorganisation der NSDAP, die zur "Erziehung" der Jugend diente und dafür sorgte, dass sich bei den Heranwachsenden ein Bewusstsein bildete, das dem Nationalsozialismus dienlich war. (Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Hitlerjugend) |
Nazi |
Nazi ist ein umgangssprachlicher Ausdruck für einen Anhänger des Nationalsozialismus. Es wurde ursprünglich in ironischer Analogie zu Sozi (= Sozialist oder SPD-Anhänger) von den Gegnern Hitlers formuliert. Später wurde der Ausdruck schärfer distanzierend gebraucht. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand auch die Wortschöpfung Entnazifizierung, womit in erster Linie die systematische Entfernung von Nazis aus öffentlichen Ämtern gemeint war. (Teilauszug aus http://de.wikipedia.org/wiki/Nazi) |
Spionage |
Spionage ist die Auskundschaftung und Erlangung von fremdem geschützten Geheimnissen oder Wissen (in der Regel von Wirtschaftsunternehmen oder Staaten). Die erlangten Informationen werden dann in den eigenen wirtschaftlichen, politischen oder militärischen Machtbereich eingeführt, ohne dass eine eigenständige Erforschung erfolgen müsste. Annähernd sämtliche Nationen bedienen sich der Spionage oder "nachrichtendienstlicher Mittel", um andere Staaten (unabhängig der feindseligen oder freundlichen Einstellung zum eigenen Staat) auszuspionieren. Die übliche Staatenpraxis ist jedoch, den friedensgefährdenden Umgang (durchaus völkerrechtlich anerkannte Rechtswidrigkeit - unfreundlicher Akt -) zu leugnen. Spionage aus wirtschaftlichen Gründen wird als Industriespionage bezeichnet. (Teilauszug aus http://de.wikipedia.org/wiki/Spionage) |
SA-Mann |
Die Sturmabteilung (kurz SA) war die paramilitärische Kampforganisation der NSDAP während der Weimarer Republik und spielte eine entscheidende Rolle beim Aufstieg der Nationalsozialisten. Nach der "Machtergreifung" kurzzeitig auch als Hilfspolizei eingesetzt, verlor die SA im Sommer 1934 nach den Säuberungen zur Abwehr eines angeblichen "Röhm-Putsches" in der Zeit des Nationalsozialismus weitgehend an Bedeutung zugunsten der SS. (Teilauszug aus http://de.wikipedia.org/wiki/Sturmabteilung) |
Spitzel, SA-Spizel |
Der Spitzel ist ein in der Regel negativ belegter Ausdruck für eine Art von Spion auf niederer gesellschaftlicher Ebene. Er wird meistens benutzt, um verdeckt Überwachende innerhalb einer Gesellschaft oder einer bestimmten Gruppe, Partei oder Organisation zu benennen. Spitzel sind weltweit in vielen Staaten eine Informationsquelle für Polizei und Geheimdienste. Sie werden eingesetzt, um sich in verdächtigen Gruppen einzuschleusen und dort Informationen über mögliche illegale oder staatsfeindliche Handlungen zu sammeln. http://de.wikipedia.org/wiki/Spitzel |
SS-Mann |
Abkürzung für Schutzstaffel. Die Schutzstaffel (SS) war von 1934 bis 1945 eine eigenständige, paramilitärische Organisation innerhalb der NSDAP, deren Teil-Organisationen maßgeblich am Holocaust beteiligt waren. (Teilauszug aus http://de.wikipedia.org/wiki/Schutzstaffel) |
1Für Zeichenerklärung, verwendete Begriffe und weitere Informationen siehe am Schluss des Dokumentes. / Abschrift vom 08. Februar 2005. / Hier können Sie den Vortrag hören: http://www.sermon-online.de/search.pl?lang=de&id=2688
2Baldur
von Schirach: Der Mann, der Hitlers Jugend führte.
Baldur
Benedikt von Schirach (* 9. Mai 1907 in Weimar, † 8. August
1974 in Kröv an der Mosel) war ein deutscher Politiker während
der Zeit des Dritten Reiches.
. . .
1936 wurde er
Staatssekretär und machte die Mitgliedschaft in der
Hitlerjugend (HJ) zur Pflicht, so dass die HJ auf 6 Millionen
Mitglieder anwuchs. Seine Bemühungen, die Kontrolle über
die gesamte Jugenderziehung zu erlangen, führte zu einem
Machtkampf mit Arthur Axmann. 1939 meldete Schirach sich freiwillig
an die Front und nahm am Frankreichfeldzug teil. Axmann wurde am 1.
Mai 1940 zunächst Schirachs Stellvertreter und am 7. August
1940 sein Nachfolger. Schirach wurde umgehend von Hitler zum
Gauleiter und Reichsstatthalter in Wien ernannt.
(Mehr, siehe:
http://de.wikipedia.org/wiki/Baldur_von_Schirach)
3Gendarm: Unter Gendarmerie (von französisch Gens d'armes, Männer mit Waffen) versteht man in einigen Ländern ein polizeiliches Sicherheitsorgan. In der Schweiz heute nur noch inoffizielle Bezeichnung.
4Pennäler: Pennal, Pennäler, Pennalie, Pennälerverbindung: Früher Bezeichnung für den Studenten im ersten Jahr. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts Bezeichnung für Gymnasien, Gymnasiasten und Verbindungen für Schüler der gymnasialen Oberstufe bzw. ab 10. Klasse.
5Halali: Hornsignal mit dem Jagdhorn nach der Jagd, auch "zum Halali blasen". Wird auch als Ehrbezeigung am Grab eines verdienten Jägers als letzter Gruss verwendet. Hier ist der Wirt gemeint.
6Gamsbart: Der Gamsbart ist ein zur Tracht gehörender, in Teilen Österreichs und Altbayern gebräuchlicher Hutschmuck. Er wird aus den Rückenhaaren erwachsener Gamsböcke hergestellt.
7Jean-Paul: Deutscher Dichter und Schriftsteller. Jean-Paul wurde als Johann Paul Friedrich Richter am 21. März 1763 in Wunsiedel geboren. Sein Geburtshaus steht neben der evangelischen Stadtkirche und davor erinnern der Jean-Paul-Brunnen und eine Bronzebüste an den berühmten Dichter, der vor allem Romane, aber auch politische Schriften und Erziehungslehren verfasste.
8Primarer: Primarschüler.
9HJ: Hitlerjugend.
10Matthäus 28, 20.
11Sakristei: Die Sakristei ist in westlichen christlichen Gotteshäusern ein Nebenraum, in dem wichtige Gegenstände, die für den Gottesdienst benötigt werden, aufbewahrt werden. Im Besonderen dient er dem Priester und den Ministranten als Vorbereitungs- und Umkleideraum.
Wilhelm Busch: «Meine
Begegnung mit der Geheimen Staatspolizei»