„Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe
Röcke von Fellen und kleidete sie."
1. Mose 3, 21
In dem Roman von F. v. Unruh „Der nie verlor" kommt ein
Kruzifix vor. Das stand einst an einer französischen Landstraße bei Verdun.
Dann brauste der Erste Weltkrieg darüber hin. Und da wurde dies hölzerne Bild
Christi verstümmelt. Um das Leidenshaupt hing ein Stück Stacheldraht.
Nun tritt dieses Bild einen langen Weg an. Es kommt zu einem
Antiquitätenhändler, der es, vor altem Brokat, im Laden ausstellt. Es gerät
in die Hände von Emigranten, die in ihm das zertretene Menschenantlitz sehen.
Es wird vor einer kommunistischen Demonstration hergetragen als das Urbild des
misshandelten Proletariers. Es steht auf dem Altar einer Kathedrale und wird
von Weihrauch umnebelt. Schließlich landet es in der Deutschen Botschaft. Da
wirft man's zum Brennholz.
Ja, das ist richtig gesehen. So ist es mit dem Kreuz
Christi! Die einen halten es für eine Antiquität, die keine Gegenwartsbedeutung
hat. Den andern ist es ein gewohnheitsmäßiger Kirchenschmuck. Viele sind
ergriffen von den rein menschlichen Leidenszügen. Und die meisten werfen es
weg.
Für unser Heil aber ist es notwendig, dass wir zu einem
biblischen Verständnis des Kreuzes kommen. Und ich bin überzeugt, dass Gott im
Alten Testament eine ununterbrochene Erziehung zum Kreuzes-Verständnis gegeben
hat. Hier im Anfang der Bibel lehrt Er
1. Kreuz und Sünde gehören zusammen
Nun muss ich zunächst erklären, in welchem Zusammenhang
unser Text steht.
Es liegt ein wundersamer Glanz über der
Schöpfungsgeschichte. „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte; und siehe
da, es war sehr gut."
„Und Gott ruhte von seinen Werken." Im Mittelpunkt all
der Weltschönheit wandelt das erste Menschenpaar, strahlend als Ebenbild
Gottes.
Wie schön sind diese zwei ersten Kapitel der Bibel! Aber
dann kommt der Absturz. Der Mensch sündigt. Und von der Stunde an ist aller
Glanz ausgelöscht. Der Adam erschrickt vor sich selber, denn er sieht, dass er
nackt ist. Er versteckt sich vor Gott. Aber Gott lässt ihn nicht laufen. Er
holt ihn aus seinem Versteck. Und dann werden Adam und Eva ausgewiesen aus dem
Paradiese. Die Welt beginnt so zu sein, wie sie heute noch ist.
Doch ehe die Sünder hinaus müssen, ereignet sich noch etwas
Ergreifendes: Gott tötet Tiere und bekleidet mit ihren Fellen die beiden, die
schamvoll und zitternd vor Gott stehen.
Diese namenlosen Tiere, die Gott tötete, sind eine
Abschattung des Lammes Gottes, des gekreuzigten Herrn Jesus.
Welch ein Augenblick, als diese Tiere den Tod erlitten! Da
ging ein Wehlaut, ein Stöhnen durch die Schöpfung. Denn es war das allererste
Töten und Sterben. Und es zeigte erschreckend an, dass nicht mehr „alles sehr
gut war".
Und als Jesus starb, da ging ein Stöhnen durch die
himmlischen Räume. Denn Er, der Sohn, ist der Erste und Einzige aus der himmlischen
Welt, der den Tod erlitt.
Bei dem Tode der unschuldigen Tiere, bei diesem allerersten
Tod, wurde erschreckend deutlich, welch ein Unheil und welch eine furchtbare
Wirklichkeit die Sünde ist. Wenn der Sündenfall nicht gewesen wäre, hätten
diese Tiere nicht sterben müssen. Und wenn wir nicht gesündigt hätten, hätte
der Sohn Gottes nicht sterben müssen. Das Kreuz Jesu verkündigt: Die Sünde ist
die allerwirklichste Wirklichkeit. Seht, darum machen alle Philosophien, alle
politischen Heilslehren und Ideologien immer wieder Bankrott, weil sie diese
Wirklichkeit der Sünde nicht anerkennen wollen. Unser aller Sünde ist die
Ursache des Kreuzes Christi.
2. „Für mich" wurde das Kreuz aufgerichtet.
Das Kreuz Jesu Christi ist die tiefsinnigste und
geheimnisvollste Angelegenheit der Weltgeschichte. Es ist wie ein tausendfach
verschlungener Knoten, der die verlorene Welt mit dem starken Gott
zusammenhält. Kein Mensch wird das Geheimnis des Kreuzes ganz ergründen können.
Aber zu unserer Errettung wird es schon dienen, wenn wir das
ganz Einfache verstehen, fassen und glauben, das ich euch jetzt zeigen will:
Mit welch tiefem Erschrecken werden wohl Adam und Eva erlebt
haben, wie Gott diese Tiere tötete! Denkt doch — es war das erste Sterben. Und
diese beiden, welche die Welt vor dem Sündenfall gekannt hatten, begriffen,
welch eine Dissonanz das Sterben in der Schöpfung bedeutet.
Ich versuche, Adams Gedanken in diesem Augenblick zu
erfassen. Er erschauert, als er das Töten sieht, und denkt: „Wie schrecklich!
Diese Tiere haben doch nichts Böses getan. Ich, ich habe doch gesündigt. Der
einzige Grund, dass sie sterben müssen, bin ich. Für mich sterben sie!"
Dies „Für mich!" steht groß über dem Sterben des
„Lammes Gottes". „Es quillt für mich dies teure Blut, / das glaub und
fasse ich..."
Ich kam vor kurzem in ein Heim für Jungbergleute. Kaum hatte
ich gesagt, wer ich bin, da wandte sich einer ab mit der Bemerkung: „Ich bin
aus der Kirche ausgetreten." Ich erwiderte: „Das ist mir ganz
gleichgültig. Aber das weiß ich, dass Jesus für dich gestorben ist." Da
drehte er sich um und fing an, mir zuzuhören. Ich kannte eine Frau, die ein schlechtes
Verhältnis zu ihrem heranwachsenden Sohn hatte. Und dann fiel dieser Junge im
Krieg. Nun geriet die Mutter in eine abgrundtiefe Verzweiflung. Es ging ihr
auf, was für eine schlechte Mutter sie gewesen war. „Und ich kann es nie, nie
mehr gutmachen", rief sie immer wieder. Was für ein Augenblick war das,
als ich ihr sagen konnte: „Für Sie starb Jesus." Ich kenne junge Männer,
die sich schrecklich quälen mit dunklen Gebundenheiten. Wie kann ich ihnen
helfen? Soll ich sagen: „Sündige ruhig weiter!"? Da sei Gott vor! Soll ich
raten: „Ändere dich!"? Nun, das kann keiner. Ich kann nur bezeugen: „Jesus
starb für dich! Das fasse du zuerst."
An einem nebligen Tag war ich einst am Genfer See. Dann
plötzlich verzogen sich die Nebel. Und eine unbeschreibliche Herrlichkeit enthüllte
sich: der blaue See und dahinter die Montblanc-Kette. So ist es, wenn die
Nebel, die das ungläubige Herz umgeben haben, fallen, und ich das Kreuz so
sehe: „Für mich!" Da strömt Gottes Herrlichkeit in mein Leben.
3. Ohne Kreuz keine Bekleidung vor Gott
In großer Beschämung standen Adam und Eva vor Gott. In
solcher entsetzlichen Nacktheit, wo nichts mehr, kein böser Gedanke, verborgen
werden kann, muss jeder Mensch einmal vor Gott stehen. Wer vor Ihm flieht bis
zum Jüngsten Tag, wird es dann erleben. Wer sich jetzt den Augen Gottes stellt,
macht es jetzt durch. Da versteht man Luthers Vers: „...es war kein Gut's am
Leben mein..."
Nun ist es fast rührend, wie Gott selber dem beschämten Adam
hilft. Wirklich, da ist Er der „liebe Gott". Er sorgt als rechter Vater
für die bedeckende Bekleidung. Und Er nimmt dazu die Felle der unschuldig
getöteten Tiere.
Mit dem Tode des Lammes Gottes hat Gott auch für uns eine
Bekleidung gewirkt, die alle Scham wegnimmt und uns zu freudigen Kindern Gottes
macht. Immer wieder sagt die Bibel, dass Jesu Gerechtigkeit unser Gewand sein
soll. Dass doch viele von uns mit Zinzendorf sprechen könnten: „Christi Blut
und Gerechtigkeit, / das ist mein Schmuck und Ehrenkleid."