Wilhelm Busch

Röcke von Fellen

 

„Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe

Röcke von Fellen und kleidete sie."                               

1. Mose 3, 21

 

In dem Roman von F. v. Unruh „Der nie verlor" kommt ein Kruzifix vor. Das stand einst an einer französischen Landstraße bei Verdun. Dann brauste der Erste Weltkrieg darüber hin. Und da wurde dies hölzerne Bild Christi verstümmelt. Um das Leidenshaupt hing ein Stück Stacheldraht.

Nun tritt dieses Bild einen langen Weg an. Es kommt zu einem Anti­quitätenhändler, der es, vor altem Brokat, im Laden ausstellt. Es ge­rät in die Hände von Emigranten, die in ihm das zertretene Men­schenantlitz sehen. Es wird vor einer kommunistischen Demonstra­tion hergetragen als das Urbild des misshandelten Proletariers. Es steht auf dem Altar einer Kathedrale und wird von Weihrauch um­nebelt. Schließlich landet es in der Deutschen Botschaft. Da wirft man's zum Brennholz.

Ja, das ist richtig gesehen. So ist es mit dem Kreuz Christi! Die einen halten es für eine Antiquität, die keine Gegenwartsbedeutung hat. Den andern ist es ein gewohnheitsmäßiger Kirchenschmuck. Viele sind ergriffen von den rein menschlichen Leidenszügen. Und die meisten werfen es weg.

Für unser Heil aber ist es notwendig, dass wir zu einem biblischen Verständnis des Kreuzes kommen. Und ich bin überzeugt, dass Gott im Alten Testament eine ununterbrochene Erziehung zum Kreuzes-Verständnis gegeben hat. Hier im Anfang der Bibel lehrt Er

 

 

Das ABC des Kreuz-Unterrichts

 

1. Kreuz und Sünde gehören zusammen

Nun muss ich zunächst erklären, in welchem Zusammenhang unser Text steht.

Es liegt ein wundersamer Glanz über der Schöpfungsgeschichte. „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut."

„Und Gott ruhte von seinen Werken." Im Mittelpunkt all der Welt­schönheit wandelt das erste Menschenpaar, strahlend als Ebenbild Gottes.

Wie schön sind diese zwei ersten Kapitel der Bibel! Aber dann kommt der Absturz. Der Mensch sündigt. Und von der Stunde an ist aller Glanz ausgelöscht. Der Adam erschrickt vor sich selber, denn er sieht, dass er nackt ist. Er versteckt sich vor Gott. Aber Gott lässt ihn nicht laufen. Er holt ihn aus seinem Versteck. Und dann werden Adam und Eva ausgewiesen aus dem Paradiese. Die Welt beginnt so zu sein, wie sie heute noch ist.

Doch ehe die Sünder hinaus müssen, ereignet sich noch etwas Ergrei­fendes: Gott tötet Tiere und bekleidet mit ihren Fellen die beiden, die schamvoll und zitternd vor Gott stehen.

Diese namenlosen Tiere, die Gott tötete, sind eine Abschattung des Lammes Gottes, des gekreuzigten Herrn Jesus.

Welch ein Augenblick, als diese Tiere den Tod erlitten! Da ging ein Wehlaut, ein Stöhnen durch die Schöpfung. Denn es war das aller­erste Töten und Sterben. Und es zeigte erschreckend an, dass nicht mehr „alles sehr gut war".

Und als Jesus starb, da ging ein Stöhnen durch die himmlischen Räume. Denn Er, der Sohn, ist der Erste und Einzige aus der himm­lischen Welt, der den Tod erlitt.

Bei dem Tode der unschuldigen Tiere, bei diesem allerersten Tod, wurde erschreckend deutlich, welch ein Unheil und welch eine furcht­bare Wirklichkeit die Sünde ist. Wenn der Sündenfall nicht gewesen wäre, hätten diese Tiere nicht sterben müssen. Und wenn wir nicht gesündigt hätten, hätte der Sohn Gottes nicht sterben müssen. Das Kreuz Jesu verkündigt: Die Sünde ist die allerwirklichste Wirk­lichkeit. Seht, darum machen alle Philosophien, alle politischen Heils­lehren und Ideologien immer wieder Bankrott, weil sie diese Wirk­lichkeit der Sünde nicht anerkennen wollen. Unser aller Sünde ist die Ursache des Kreuzes Christi.

 

2. „Für mich" wurde das Kreuz aufgerichtet.

Das Kreuz Jesu Christi ist die tiefsinnigste und geheimnisvollste Angelegenheit der Weltgeschichte. Es ist wie ein tausendfach ver­schlungener Knoten, der die verlorene Welt mit dem starken Gott zusammenhält. Kein Mensch wird das Geheimnis des Kreuzes ganz ergründen können.

Aber zu unserer Errettung wird es schon dienen, wenn wir das ganz Einfache verstehen, fassen und glauben, das ich euch jetzt zeigen will:

Mit welch tiefem Erschrecken werden wohl Adam und Eva erlebt haben, wie Gott diese Tiere tötete! Denkt doch — es war das erste Sterben. Und diese beiden, welche die Welt vor dem Sündenfall gekannt hatten, begriffen, welch eine Dissonanz das Sterben in der Schöpfung bedeutet.

Ich versuche, Adams Gedanken in diesem Augenblick zu erfassen. Er erschauert, als er das Töten sieht, und denkt: „Wie schrecklich! Diese Tiere haben doch nichts Böses getan. Ich, ich habe doch gesündigt. Der einzige Grund, dass sie sterben müssen, bin ich. Für mich sterben sie!"

Dies „Für mich!" steht groß über dem Sterben des „Lammes Got­tes". „Es quillt für mich dies teure Blut, / das glaub und fasse ich..."

Ich kam vor kurzem in ein Heim für Jungbergleute. Kaum hatte ich gesagt, wer ich bin, da wandte sich einer ab mit der Bemerkung: „Ich bin aus der Kirche ausgetreten." Ich erwiderte: „Das ist mir ganz gleichgültig. Aber das weiß ich, dass Jesus für dich gestorben ist." Da drehte er sich um und fing an, mir zuzuhören. Ich kannte eine Frau, die ein schlechtes Verhältnis zu ihrem heran­wachsenden Sohn hatte. Und dann fiel dieser Junge im Krieg. Nun geriet die Mutter in eine abgrundtiefe Verzweiflung. Es ging ihr auf, was für eine schlechte Mutter sie gewesen war. „Und ich kann es nie, nie mehr gutmachen", rief sie immer wieder. Was für ein Augenblick war das, als ich ihr sagen konnte: „Für Sie starb Jesus." Ich kenne junge Männer, die sich schrecklich quälen mit dunklen Ge­bundenheiten. Wie kann ich ihnen helfen? Soll ich sagen: „Sündige ruhig weiter!"? Da sei Gott vor! Soll ich raten: „Ändere dich!"? Nun, das kann keiner. Ich kann nur bezeugen: „Jesus starb für dich! Das fasse du zuerst."

An einem nebligen Tag war ich einst am Genfer See. Dann plötzlich verzogen sich die Nebel. Und eine unbeschreibliche Herrlichkeit ent­hüllte sich: der blaue See und dahinter die Montblanc-Kette. So ist es, wenn die Nebel, die das ungläubige Herz umgeben haben, fallen, und ich das Kreuz so sehe: „Für mich!" Da strömt Gottes Herrlich­keit in mein Leben.

 

3. Ohne Kreuz keine Bekleidung vor Gott

In großer Beschämung standen Adam und Eva vor Gott. In solcher entsetzlichen Nacktheit, wo nichts mehr, kein böser Gedanke, ver­borgen werden kann, muss jeder Mensch einmal vor Gott stehen. Wer vor Ihm flieht bis zum Jüngsten Tag, wird es dann erleben. Wer sich jetzt den Augen Gottes stellt, macht es jetzt durch. Da versteht man Luthers Vers: „...es war kein Gut's am Leben mein..."

Nun ist es fast rührend, wie Gott selber dem beschämten Adam hilft. Wirklich, da ist Er der „liebe Gott". Er sorgt als rechter Vater für die bedeckende Bekleidung. Und Er nimmt dazu die Felle der unschul­dig getöteten Tiere.

Mit dem Tode des Lammes Gottes hat Gott auch für uns eine Beklei­dung gewirkt, die alle Scham wegnimmt und uns zu freudigen Kin­dern Gottes macht. Immer wieder sagt die Bibel, dass Jesu Gerechtig­keit unser Gewand sein soll. Dass doch viele von uns mit Zinzendorf sprechen könnten: „Christi Blut und Gerechtigkeit, / das ist mein Schmuck und Ehrenkleid."