Im Gespräch: Pfr. Winrich Scheffbuch
Winrich Scheffbuch wirkte 30 Jahre als Pfarrer in der Ludwig-Hofacker-Gemeinde in Stuttgart. Daneben trug er viele Jahre Verantwortung in den Missionswerken Hilfe für Brüder, Christliche Fachkräfte International und CO-Workers International. Er besuchte verfolgte, bedrängte und notleidende Christen in aller Welt, unterstützte aber auch ermutigende Erweckungen in der 3. Welt. Zusammen mit seiner Frau schrieb er Bücher wie „Den Kummer sich vom Herzen singen“ und „Wer Jesus hat, hat das Leben“. Auch heute ist er weiter für Gottes Reich unterwegs.
Eines der ersten Andachtsbücher, die ich mir als junger Pfarrer gekauft habe, war „Wer Jesus hat, hat das Leben“ (1977 erschienen). Da schreibst du im Vorwort, wie wichtig es ist, „dass man möglichst tief an die Bodenschätze des Wortes Gottes herankommt“. In ungezählten Predigten hast du in diesem Sinn „tief gegraben“. Was bedeutet dir die Bibel heute?
In diesen Tagen spüren nicht nur junge Leute voll Panik, wie die Erde und die ganze Schöpfung sehr vergänglich sind. Um so wunderbarer empfinde ich die großen Verheißungen, dass Gottes Wort sich erfüllt und in Ewigkeit bleibt, auch wenn Himmel und Erde vergehen. In allen Jahrhunderten war die Bibel höchst aktuell und zeitnah. So erleben dies unzählige Millionen auch heute unter allen Völkern und Nationen bis an die Enden der Erde. Weil Gottes Wort lebendig ist und nicht leer zurückkommt, ist die Bibel das wichtigste Mittel zum Bau von Gemeinden. Der Heilige Geist wirkt durch Gottes Wort. Ohne Wort Gottes findet niemand zum Glauben. Wo man anders Gemeinde baut, hat man Sand als Fundament und keinen Felsen. Ich wundere mich, wie heute an vielen Orten Bibelstunden aufgegeben werden. Als ob Bibellesen langweilig wäre! In der Gemeinde pflegten wir neben vielen Hauskreisen das unterweisende „Bibeltraining“, dazu auch einen Jugendbibelkreis, weil junge Leute reden und ihre Fragen loswerden wollen, und eine kurze Bibelstunde für Senioren, weil die abends nicht mehr aus dem Haus gehen.
Du blickst nicht nur auf ein langes Leben, sondern auch auf eine lange Ehe zurück. Du hast mit deiner Beate viele Reisen unternommen, und ihr habt zusammen einige Bücher geschrieben. Wir erleben heute, dass sich viele junge Leute nicht mehr zur Heirat entschließen. Was können Eltern tun, damit ihre Kinder Geschmack an der Ehe finden? Was bedeutet für dich die Ehe?
Tatsächlich, das Geheimnis ist groß. Was für einen großen Einfluss in der Gemeinde hat eine Pfarrfrau! Und mit zunehmendem
Alter wird Ehe immer noch schöner. Meine Großmutter Busch hat uns schon als jungen Burschen wichtig gemacht, dass man früh in jungen Jahren täglich für die richtige Frau beten muss. Wie soll man sie sonst finden können? Dabei war mir die Bibel das wichtigste Aufklärungsbuch. Die Angst, schrecklich und elend zu scheitern, bewahrt auch heute junge Leute vor Übermut: „Da ist doch nichts dabei!“ Noah, Lot, Delila, Bathseba, ja die Sprüche Salomos und viele andere Bibelworte sind auch heute eine große Hilfe, die unheimlichen Abgründe im eigenen Herzen zu erkennen. Und Jesus ist der Einzige, der uns retten und reich beschenken kann. Eine Trauung ist ja eigentlich ein herrlicher Bittgottesdienst mit großen Verheißungen. Wie schön drückt das die alte Trauordnung Württembergs aus, dass „eins das andere mit sich in den Himmel bringe“ und dass der andere nur für die kurze, begrenzte Lebenszeit eine Leihgabe Gottes ist, die man vor ihm verantworten muss.
Ihr habt euch intensiv mit dem christlichen Liedgut beschäftigt. Heute verzichten viele Gemeinden zugunsten von Anbetungsliedern auf die klassischen Choräle. Wie ist diese Entwicklung zu erklären? Wie könnte man der jüngeren Generation den inneren Wert der Choräle wieder nahebringen? Bitte verrate uns auch dein Lieblingslied.
Wie mit der Bibel, so ist es auch mit den Liedern. Man braucht Unterweisung schon im Kindesalter. Die schönsten Lieder sind ja die Psalmen, im Hebräischen nur „Lobpreisungen“ genannt. Aber dieser Lobpreis hat eine riesige Weite, die heute fehlt. Zum Gotteslob gehört die ganze Vielfalt von Klage und Siegesjubel, aber auch Sündenbekenntnis, Buße und Beichte, Vergebung und Vertrauen, Anfechtung und Hoffnung, Menschenbosheit und Krankheitsleiden, Leiden und Erfahrung von Ängsten. Wie stark wirken da die vertonten Bibelworte! Leider sind auch in den Kirchengesangbüchern mit jeder Auflage viele bewährte Lieder in der Rubrik „Gottvertrauen, Kreuz und Trost“ ersatzlos gestrichen worden. Dabei erleben junge und alte Menschen Angst sehr existentiell. Genügt uns wirklich ein Wellness-Gefühl im Wohlstand? Wie schlimm war, dass man in der Pandemie die Kranken einsam sterben ließ ohne Zuspruch des Evangeliums. Bei großen Sportereignissen fällt auf, wie Nationalhymnen mit ihren feierlichen Melodien lautstark gesungen werden. Auch die großen Hymnen des Glaubens begleiten mit ihren tiefen Aussagen viele ein Leben lang bis in den Tod. Sie sind mehr als kurzlebige Schlager. Nun machen Töne nicht selig, aber die Texte helfen. Ich habe die großen Lieder des Glaubens mit ihren gewichtigen Aussagen lieben gelernt bei der Familienandacht am Morgen, bei einem langen Krankenhausaufenthalt mit 9 Jahren, im Schulunterricht und in Gottesdiensten. Wie gut, wenn im Gesangbuch auch ein paar Worte über die Dichter stehen. Und im Kindergottesdienst haben mich neben Lebensbildern die Berichte über die Entstehung der Lieder begeistert. Und wenn man noch die Bachchoräle, Motetten, Kantaten entdeckt! Um Kunst zu verstehen, müssen die Augen geöffnet werden. Und in Sprache und Literatur sind wir heute nur Zwerge auf den Schultern von Riesen. Wie herrlich ist das Glaubenszeugnis der Wolke von Zeugen vor uns! Eins soll aber auch nicht verschwiegen werden: Gott ist auf unser Lob nicht angewiesen, als ob wir ihn hochjubeln müssten. „Tu von mir das Geplärr deiner Lieder!“ sagt Gott, wenn man in der Sünde verharrt und Gottes Gerechtigkeit mit Füßen tritt (Amos 5, 21-25).
Mein Lieblingslied „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut“ stammt vom bedeutenden Reichsrat Johann Jakob Schütz. Die Theologen einer erstarrten Kirche nahmen ihm übel, dass er die ersten pietistischen Gemeinschaftsstunden ohne Pfarrer einführte. Wie herrlich hat Johann Sebastian Bach aus diesem Lied eine ganze Kantate gemacht!
Vor mir liegt das Buch „Israel mit der Bibel entdecken“, das du zusammen mit deiner Frau herausgegeben hast. Ihr habt viele Reisegruppen durch Israel geführt und ihnen anhand des Landes die Bibel aufgeschlossen. Wie habt ihr den Teilnehmern die aktuellen Konflikte zwischen Israelis und Arabern erklärt? Was hältst du von der jetzt wieder neu proklamierten Zwei-Staaten-Idee?
Es hat mich bei der Abfassung des Buches überrascht, wie exakt die biblischen Aussagen mit den archäologischen Entdeckungen vor Ort übereinstimmen. Aber auch die aktuellen Konflikte in Nahost werden erst an Ort und Stelle richtig verständlich. Am Grab Abrahams in Hebron standen Ismael und Isaak. Dort liegt die Wurzel der unüberwindbaren Spannungen. So wie es in 1. Mose 16, 12 heißt: „Er wird wohnen all seinen Brüdern zum Trotz!“ Ein kurzer Spaziergang durch Jerusalem macht schnell deutlich, dass man hier auf dem engen Raum auch mit Mauern nichts mehr teilen kann. Vielmehr erfüllt sich das Wort Gottes, dass Jerusalem zum Taumelbecher für alle Völker ringsum zugerichtet wird. Und Gott wird „Jerusalem zum Laststein für alle Völker machen. Alle, die ihn wegheben wollen, sollen sich daran wund reißen; denn es werden sich alle Völker auf Erden gegen Jerusalem versammeln“ (Sacharja 12, 2f.). Angesichts dieses letzten Totalangriffs der vereinten Weltvölker unter dem Antichristen gegen Israel in Jerusalem hat für mich der Besuch des englisch-deutschen Friedhofs auf dem Zionsberg eine große Bedeutung. Dort liegen am Weg von der katholischen Dormitio ins Tal Hinnom die mutigen christlichen Pioniere, die in den letzten 180 Jahren das völlig verwüstete und verarmte Jerusalem wieder aufbauten. Auf ihren Grabsteinen sind ihre Namen in hebräischer, arabischer und deutscher Schrift eingraviert. Mit Bibelworten weisen sie auf die Erfüllung der biblischen Verheißungen: „Das Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie: das ist unsere Mutter“ (Galater 4, 26).
In deinem Buch „Kein Tag wie jeder andere“ erzählst du eine Begebenheit, wie ihr mit einer Reisegruppe einmal Beduinenkindern mit euren Lunchpaketen etwas Gutes tun wolltet, sie aber das nicht zu schätzen wussten und alles wegwarfen. Du ziehst daraus den Schluss, dass „bloße Geschenke der Wohltätigkeit nicht geachtet werden. Was nichts kostet, hat keinen Wert“. Das bringt mich zur Frage, wie Entwicklungshilfe aussehen müsste.
Daran ist ja die Entwicklungspolitik der Staaten oft gescheitert, dass man zu wenig begriffen hat, was die unterentwickelten Länder wirklich brauchen. Die ersten Missionare haben einen Schwerpunkt ihrer Arbeit darauf gelegt, dass Menschen durch Christus neue Kreaturen werden. Ohne Bekehrung und geistliches Leben hat das Fass keinen Boden, wie viel man auch oben hineinschüttet. Auch die Schulbildung der Jugend ist entscheidend. In der Armut weiß man nicht, was man am nötigsten braucht. In der großen Hungersnot nach dem 2. Weltkrieg kamen die ersten Care-Pakete. Wir hatten nichts zu essen und es fehlte an allem. Da schrieb die Spenderfamilie, was wir als kinderreiche Familie uns zu Weihnachten wünschten. Wir schrieben unsere Wünsche nieder: Elektrische Eisenbahn, Schlittschuhe usf. Das war das Ende der Care-Pakete!
Die Amerikaner gaben uns Impulse zum Neuaufbau der Jugendarbeit. Überall waren plötzlich die steinharten Bälle vom Baseball und die ellipsenartigen Bälle vom amerikanischen Football. Wir konnten damit nichts anfangen, weil sie uns ungewohnt waren und niemand uns das lehrte.
Das hat mir sehr geholfen in der Arbeit von Hilfe für Brüder. Wir wollten nie Entwicklungshilfe „machen“, sondern brüderliche Unterstützung geben. Das ist in der Apostelgeschichte beschrieben, wie unser Überfluss dem Mangel der Notleidenden helfen kann. Nie haben wir den evangelikalen Kirchen im Ausland irgendein Projekt vorgeschlagen. Entscheidend waren für uns allein ihre Ideen. Wir prüften ihre Projekte nur, ob sie wirtschaftlich und nützlich und auch nachhaltig waren. Angesichts der verbreiteten Korruption war für uns auch wichtig, ob die Leute vor Ort einen guten Ruf haben und ihre Verantwortung vor Gott wahrnehmen.
Du warst an der Gründung des Hilfswerks „Hilfe für Brüder“ 1980 maßgeblich beteiligt. Später kam die Organisation „Christliche Fachkräfte International“ dazu. Was hat dich bzw. euch damals zur Gründung dieser Parallelstrukturen zu den kirchlichen Organisationen bewogen? Welches Fazit ziehst du heute nach über 40 Jahren?
Gott hatte mich in die Mission berufen. Als ich 1961 mein Studium der Theologie abgeschlossen hatte, fuhr ich nach Basel ins Missionshaus zum Einführungskurs. Dort erfuhr ich, dass gar keine Missionare mehr ausgesandt werden. Ich war schockiert. Ein Missionsleiter wollte mich trösten und sagte: Wir suchen einen Akademieleiter für Kamerun. Aber ich wollte ja kein Akademieleiter sein, sondern schlicht Missionar. Das war eine Enttäuschung. Ich fand keine Mission, die mich senden wollte. So war das vor dem Aufbruch der Evangelikalen. Da riet mir einer, man kann auch in Deutschland Missionar sein. Schweren Herzens ging ich in den kirchlichen Dienst.
Wenn ich heute zurückblicke, kann ich nur staunen, wie Gott mich doch in die Mission geführt hat. Durch den „Lausanner Kongress für Weltevangelisation“ entdeckten 1974 viele Evangelikale in Deutschland die missionarisch aktiven Kirchen in aller Welt. Dringlich baten die: Lasst uns nicht länger allein! Unterstützt uns bei der riesigen Aufgabe der Evangelisierung unserer Völker. Vergesst nicht neben den Entwicklungsprogrammen, dass Millionen nach dem Wort Gottes hungern. 2, 8 Milliarden haben das Evangelium noch nicht gehört. Das war der Anstoß für Hilfe für Brüder. Maßgeblich beteiligt waren Missionsleiter Ernst Vatter und die Oberkirchenräte Walter Arnold und Dieter Bauer. Wir wollten eine Anlaufstelle für alle biblischen Missionskirchen schaffen, zu denen unsere Kirchen noch keine Verbindung hatten. Es ergab sich so, dass alle Beteiligten unsere Gemeinde als zentrale Adresse wollten. Mission ist nicht nur Entwicklungshilfe, sondern der Anbruch des Reiches Gottes und Bau der Gemeinde Gottes in den Nationen. Manche neuen Missionen entstanden auch bei uns. Führende Evangelikale aus Afrika und Asien kamen zu uns: Helft uns! Es war wunderbar, wie wir alle eins wurden. Der Name Hilfe für Brüder erinnerte an das Jesuswort: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Und Gott segnete das Vorhaben und gab Gelingen.
Wenn wir heute auf diese letzten 40 Jahre zurückblicken, können wir nur staunen über den weltweiten geistlichen Aufbruch, an dem wir beteiligt sein durften. Unser Motto war: Dass Gottes Reich weltweit wächst! Wo ein Feuer brennt, legen wir ein paar Kohlen dazu. Das Beste sind die Christen vor Ort. Sie kennen Land und Leute und sprechen ihre Sprache.
Im Gespräch
Du hast mir geschrieben, dass du ein „Fan der Einzelgemeinde“ bist. Als Leiter des Gemeindehilfsbundes interessiert mich das theologische Konzept, das hinter dieser Leidenschaft steht. Andererseits: braucht nicht jede Einzelgemeinde auch eine größere Struktur, um nicht zu vereinsamen und um sich vor theologischen Einseitigkeiten zu schützen? Kennst du gelungene Beispiele solcher „Einzelgemeinden“ im Rahmen der landeskirchlichen Struktur?
Heute werden Gemeinden auch wider Willen fusioniert. Als unsere Ludwig-Hofacker-Gemeinde 1997 von solchen Plänen erfuhr, hat der Kirchengemeinderat das Modell einer „Freiwilligkeitsgemeinde“ innerhalb der Landeskirche entwickelt - das missverständliche Wort Personalgemeinde wollten wir vermeiden. Damit müssten die weit über die Grenzen Württembergs hinaus bekannten Impulse und Dienste nicht zerschlagen werden, da sie bei einer Fusion in andere Gemeinden nicht zu übertragen oder zu integrieren sind. Dazu sind auch die Auffassungen über die Gemeindearbeit unter den Theologen zu verschieden. Leider hat der Oberkirchenrat das Gesuch abgelehnt mit dem Hinweis, sich nicht damit befassen zu wollen.
An vielen Orten Deutschlands haben viele landeskirchliche Einzelgemeinden eine besondere missionarische und erweckliche Leuchtkraft überregional entfaltet. Das Modell „Korntal“, einer freien Brüdergemeinde innerhalb der Landeskirche, in das man sich auch aus anderen Gemeinden ummelden kann, hat sich seit über 200 Jahren bewährt. Angesichts der großen theologischen Unterschiede wären in größeren Städten profiliert biblisch evangelistische und bekenntnistreue Richtungsgemeinden für viele landeskirchliche Christen eine große Hilfe.
Es war Erich Schnepel, der für den entkirchlichten Berliner Osten das Modell von vielen Einzelpfarrämtern mit einer Arbeitsmannschaft entwickelt hat. Der „Offene Abend Stuttgart“ hat mit über 300 ehrenamtlichen Mitarbeitern das modellhaft praktiziert. Da ja diese Einzelgemeinden ihren Platz in der Gemeinschaft der Kirche haben, ist keine Einseitigkeit zu befürchten.
Du hast viel über die Leiden der weltweit verfolgten Christen gepredigt und informiert. Auf dem „Schönblick“ gibt es Kongresse zu diesem Thema. Idea berichtet dankenswerterweise ebenfalls über diese Nöte. Trotz aller Aufklärung und aller Gebete scheint aber die Verfolgung der Christen weltweit zuzunehmen. Was ist da zu tun?
Ja, die Verfolgung nimmt zu, weil Jesus der bestgehasste Name in der Welt ist. Das wird sich steigern, je näher das Ende der Welt kommt. Und das Evangelium wird von einer antichristlichen Menschheit als Fremdkörper empfunden, der bekämpft werden muss. Wir haben nie um ein Ende der Verfolgung gebetet. Im Gegenteil haben wir erkannt, dass Leiden wegen Christus ein großer Segen sind. Das große Manko der westlichen Christen ist, dass sie die Segnungen des Leidens nicht mehr kennen. Wir müssen wieder lernen, wie Gott durch Leiden seine Gemeinde erneuert. In vielen Ländern der Welt bedeutet die Bekehrung zu Jesus eine vernichtende Verfolgung. Davon sprach Jesus, dass dies alle bedenken müssen, die in seine Nachfolge treten. Leiden bewahrt vor Verflachung und stellt das Ärgernis des Evangeliums deutlich heraus. Der Mensch kann sich nicht selbst erlösen, wie die Welt glaubt. Er ist vom Fürsten der Welt geknechtet. Allein das Blut von Jesus, am Kreuz vergossen, ist die Versöhnung für die Welt. Paulus verbindet in seinen Briefen immer Leiden mit Freude: „Ich freue mich meiner Leiden!“ Das Evangelium steht in einem unüberbrückbaren Spannungsverhältnis zu den Mächten dieser Welt. Erst im Leiden wird die Gemeinde wieder gereinigt und entdeckt die „ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit für uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig“ (2. Korinther 4, 17). Darum haben alle Verfolgungen immer zum Wachstum und zur Stärkung der Gemeinde geführt.
Eine Frage zum süddeutschen Pietismus, wo du dich ja bestens auskennst. Wir in Norddeutschland haben lange Zeit sehnsüchtig nach Württemberg geblickt. Ihr habt dort als einzige Landeskirche die Direktwahl der Synodalen durch die Gemeinden. Ihr habt die starke Synodalgruppe der „Lebendigen Gemeinde“. Ihr habt große landeskirchliche Gemeinschaftsverbände. Ihr habt die Jugendmissionskonferenz „Jumiko“. Auf der Synode im März 2019 haben nun aber mehr als die Hälfte der Synodalen der „Lebendigen Gemeinde“ für die Einführung von bibelwidrigen Gottesdiensten für gleichgeschlechtliche Partnerschaften unter bestimmten Voraussetzungen gestimmt. Wie lässt sich ein solches Abstimmungsverhalten mit dem pietistischen Bibelverständnis vereinbaren, wonach man sich „ganz dem Text zuwenden“ soll (J.A. Bengel)?
Es war ein Fehler, vor zehn Jahren den pietistischen Hofackerkreis, eine freie und unabhängige Arbeitsgemeinschaft für Bibel und Bekenntnis, in die Synodalgruppe „Lebendige Gemeinde“ zu überführen. Eine kirchenpolitische Synodalgruppe trägt Verantwortung im Verfassungsorgan einer pluralistischen
Körperschaft. Das erfordert aber einen eindeutigen geistlichen Kampf auch wider Willen, wie überall in den Landeskirchen, zunehmend auch in Freikirchen. In solchen demokratischen Gremien ist der Einfluss sehr geschwächt, wenn man – wie jetzt – keine absolute Mehrheit hat. Viele Christen weichen erschreckt zurück, wenn man vom Kampf redet, obwohl Epheser 6 uns auch darauf hinweist. 1938, mitten im Kirchenkampf, gab es einen Sammelband „Vom heiligen Kampf“. Dort steht auch der Vers von Jochen
Klepper:
Dann wird sich als der Siege Sieg erweisen,
dass du sie selber in den Kampf gerissen.
Und selbst erliegend werden sie es preisen
vom König aller Könige zu wissen.
Ganz anders ist es für den, der aus der Landeskirche austritt und die Freikirche wählt. Pietisten konnten in Jahrhunderten nur in der pluralistischen Landeskirche bleiben, weil sie nebenher ihre freien Werke mit einer klaren Bibelbasis bauten. So war über viele Jahre hinweg die Hofacker-Vereinigung ein freies Werk innerhalb der Landeskirche, aber völlig unabhängig. Hier konnten unzählige Initiativen zum Bau lebendiger Gemeinden einmütig beschlossen und durchgeführt werden: Glaubenskonferenzen, Gemeindetage unter dem Wort, klare Stellungnahmen, Lutherbibel erklärt, Abendbibelschulen, Biblische Erzählungen für Kinder, Diakonie- und Missionskonferenzen, Albrecht-Bengel-Haus, Hilfe für Brüder und Christliche Fachkräfte, Predigthilfe „Zuversicht und Stärke“ und vieles andere.
Kurz gesagt: Der Pietismus kann am besten wirken als freies Werk in der Kirche, wenn möglich auch mit der Kirche, aber nie unter der Kirche. Schrifttreue Pietisten haben oft in Synoden mitgewirkt, aber immer mit der linken Hand. Mit der rechten Hand bauten sie das Reich Gottes in freien Werken.
Was hältst du von der Formel der „Auslegungsgemeinschaft“, mit der man in der Württembergischen Landeskirche die unvereinbaren Gegensätze zwischen einer bibel- und bekenntnisgebundenen Bibelauslegung und historisch-kritischen Auslegungen zu überdecken versucht? Wie können sich Gemeinden gegen solche Vereinnahmungsversuche wappnen? Allgemeiner gefragt: wie sollen sich landeskirchliche Christen verhalten, die sich der zeitangepassten Theologie widersetzen und deswegen bedroht und ausgegrenzt werden? Und noch grundsätzlicher: sind das alles Vorboten des „endzeitlichen Gefälles“ (Heinrich Kemner)?
Ja, das ist die Krise der letzten bösen Zeit. Man kann die große Kluft der tiefen Gegensätze im Verständnis der Bibel und in den Bekenntnisfragen nicht wirklich durch neue Wortschöpfungen überbrücken. Stehen wir heute nicht mitten in der schlimmsten Verführung seit der Reformation? Die Risse und Polarisierungen gehen mitten durch Gemeinden, ja auch Familien. Viele meinen ja, man solle um des Friedens willen schweigen. Das ist sicher das Bequemste. Aber in einer Sache, die das ewige Heil und Unheil der Welt und der Menschen betrifft, darf kein ehrlicher Christ schweigen. Bis tief in die Kirchen hinein nimmt die Gesetzlosigkeit zu und Gottes Gebote als seine guten Ordnungen werden aufgelöst. Jesus hat seine Gemeinde vor Verführung und Abfall gewarnt, die mitten aus der Gemeinde kommen. Und Jesus mahnte, „wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater“ (Matthäus 19, 32). Darum tragen wir eine große Verantwortung auch im Bekenntniskampf unserer Zeit. Es hat sich in allen Jahrhunderten der Geschichte der Christen gezeigt, wie Gott seinen Segen auf die Treue zu seinem Wort gelegt hat. Darum ist es wichtig, dass sich heute in dieser Zeit der Scheidung bekennende Christen sammeln und gegenseitig stärken, was sterben will. Im Gebet und in der Gemeinschaft über der Bibel sollen wir gründlich biblische Lehre erforschen und die Zusammenarbeit mit anderen suchen. „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es hat dem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben“ (Lukas 12, 32). Auch in der letzten schweren Verführung des Volkes Gottes baut Jesus sein ewiges Reich und macht schwache Zeugen unüberwindlich stark.
Die Fragen stellte Pastor Dr. Joachim Cochlovius.
Leseempfehlung:
Winrich Scheffbuch
Jenseits der endlosen Meere
Christliche Literatur-Verbreitung (CLV),
Bielefeld 2021, 352 Seiten, 14, 90 €
ISBN: 978-3-8669-9657-1