Jauchzen – inmitten schweren Leides

 

Von Beate und Winrich Scheffbuch

 

Strahlend - mit Pauken und Trompeten - beginnt das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach: Jauchzet frohlocket\" Fast zu gleicher Zeit dichtete um 1731 Gerhard Tersteegen (1697 - 1769) das beliebte Weihnachtslied Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket; ihr Engel in Chören" zu Joachim Neanders Freudenmelodie „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren". Selten hat jemand sein Leben so eigenartig gestaltet wie Gerhard Tersteegen. Genau darin liegt aber seine große Ausstrahlung und Wirkung - bis heute. Sein Leben war aus einem Guss. Er lieferte sich Jesus Christus völlig aus. Hier fand er die lohnende Lebensmitte, ganze Sicherheit und volle Erfüllung. Damit hat er unzählige Menschen tief geprägt.

 

Krankheit und Einsamkeit

 

Am 25. November 1697 in Moers am Niederrhein als achtes Kind in einer frommen Kaufmannsfamilie geboren, verlor er mit sechs Jahren seinen Vater. Der begabte Junge lernte neben Französisch und Holländisch auch rasch Latein, Griechisch und Hebräisch. Die Universität aber blieb ihm verschlossen. Seine Mutter konnte als arme Witwe die Mittel dafür nicht aufbringen. So sollte er Kaufmann werden wie sein Vater.

 

Mülheim an der Ruhr wurde Gerhard Tersteegen zur Heimat. Mit 20 Jahren stand er im Krämerladen mit Gemüse und Heringen, aber die Geschäfte gingen schlecht. Tersteegen war für den Kaufmannsberuf nicht geschaffen. Schon von Jugend an schwer leidend, wurde er auch jetzt von Krankheiten geplagt. Manchmal lag er bis zu zwölf Wochen hilflos im Bett, ohne dass jemand nach ihm schaute. Er meinte in seiner bescheidenen Art, so müsse er es eben ertragen. Ganz bedürfnislos wollte er werden. Darum verzichtete er zeitlebens auf die Ehe. In allem suchte er der Armut von Jesus gleich zu werden. Nur einmal am Tag aß er eine einfache Mehlsuppe und verzichtete auf Kaffee oder Tee.

In der Stille und Einsamkeit versuchte er es erst mit der Leinenweberei, aber auch das war für seinen kranken Körper zu viel. So kaufte er sich eine Maschine und betrieb ganz für sich das Handwerk der textilen Bandwirkerei.

 

Ringen um inneren Frieden

 

Ein schwerer geistlicher Kampf tobte in diesen Jahren in Tersteegen. Voller Schrecken misstraute er seinem eigenen bösen Herzen. Nach allem Ringen fand er Frieden, nicht in der völligen Abkehr und mystischen Verneinung der Welt, sondern in der neu entdeckten, befreienden und versöhnenden Gnade Jesu. Es war am Abend des Gründonnerstags im Jahr 1724, als der 26-jährige Gerhard Tersteegen mit seinem eigenen Blut sich Jesus zum völligen und ewigen Eigentum verschrieb: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe! Befehle, herrsche, regiere in mir! Ich gebe dir Vollmacht über mich. Dein Geist versiegle, was in Einfalt geschrieben dein unwürdiges Eigentum."

Nein, Tersteegen war kein Mystiker. Ihm ging es gerade nicht um mystische Selbsterlösung durch tiefsinnige Versenkung in das eigene Ich. Nicht sein frommes Ich, sondern die versöhnende Gnade Gottes in Jesus Christus wurde ihm überzeugend groß. Sein geängstigtes Herz wurde ruhig und fand Frieden. Er er-kannte die Liebe des ewigen und leben-digen Gottes, die ihn berief und bekehrte. Immer wieder betonte er zeitlebens das Unvermögen des gefallenen Menschen, sich selbst aufzurichten. Dieses nüchterne Reden von der Macht der Sünde und das Wissen um die böse Art seines Wesens bewahrte Tersteegen vor aller Schwärmerei.

 

Befriedigung allein in Gott

 

Natürlich änderte Gerhard Tersteegen jetzt seinen Lebensstil. Nach dem Band-wirken benutzte er die Abendstunden zur Schriftstellerei. Ihm war der Gedanke wichtig, dass die kurzen Tage unseres Lebens darin ihren Sinn haben, - frei von rasch vergehender Lust - Jesus nachzufolgen. Alle Befriedigung liegt allein in Gott. Nichts sonst kann das dürstende und hungernde Herz sättigen.

Vielleicht seine wichtigste Schrift war das „Geistliche Blumengärtlein" mit kurzen Reimen und Liedern zur Erweckung, Stärkung und Erquickung in dem verborgenen Leben mit Christus in Gott. Offen und natürlich war Tersteegens Blick gerade für die Welt als Schöpfung Gottes. Wir finden bei ihm wunderbare Lieder, die die Schönheit der Natur besingen. Auch fertigte er Medikamente aus mancherlei Kräutern.

 

Kein Kirchgänger

 

Das besondere Kennzeichen des 30- jährigen Gerhard Tersteegen wurde jetzt die Gemeinschaft. Man fand ihn, den Mann der Stille und Einsamkeit, nun meist am Sonntagnachmittag in Bauernhäusern der Umgebung Mülheims, im Bergischen Land, im Tal der Wupper, im niederrheinischen Land um Kleve herum bis nach Amsterdam.

In den vielen Hausversammlungen traf die Zuhörer das schlichte Wort und die innerlich bezwingende Kraft seines Redens. Viele bekehrten sich. Im Bergischen Land entstand 1727 die „Pilgerhütte". Eine Bruderschaft junger Männer zog hier ein, die miteinander christliches Leben verwirklichen wollten. Aber auch sonst sammelten sich Freunde, die sich zu Tersteegen hingezogen fühlten, seine Seel-sorge suchten und sein geistliches Wort hören wollten. Seine umfangreiche Korrespondenz ging bis nach Dänemark, Schweden und Amerika.

Tersteegen wohnte 20 Jahre lang in Mülheim in ärmlichsten Verhältnissen direkt gegenüber der Petrikirche. Betreten hat er sie aber in der ganzen Zeit nie. Er hätte sich an Gottesdiensten beteiligt, wenn der Prediger „meinen Glauben weder ermüdet noch ärgert". Tersteegen wollte sich weder an eine Konfession binden noch sektiererisch von ihr abspalten lassen. Die ganze konfessionelle Frage trat bei ihm zurück gegenüber dem völligen Gehorsam in der Nachfolge Jesu. Selbst die reine Lehre kann kein gottseliges Leben garantieren, weil der wahre Glaube weder an Konfessionen noch an freie Gruppen gebunden ist.

Auch keine vollkommene Gemeinde wollte Tersteegen organisieren. Er freute sich an der Gemeinschaft mit Menschen, die Gott liebten. Dies war der Tempel, der Ort der Gegenwart Gottes. Am 3. April 1769 rief ihn der Herr nach längerer Krankheit und Leidenszeit heim in seinen Frieden.

 

Erschienen am: 28.11.2012 (idea spektrum)

 

Die Autoren, Beate und Winrich Scheffbuch, leben in. Stuttgart. Er ist Pastor und „Pionier der evangelikalen Entwicklungshilfe".

 

 

 

Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket, ihr Engel in Chören Singet dem Herren dem Heiland der Menschen, zu Ehren Sehet doch da: Gott will so freundlich und nah Zu den Verlor'nen sich kehren

 

Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket, ihr Enden der Erden! Gott und der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden. Friede und Freud' wird uns verkündiget heut'; freuet euch, Hirten und Herden!

 

Sehet dies Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget; sehet die Liebe, die endlich als Liebe sich zeiget Gott wird ein Kind, träget und hebet die Sünd': alles anbetet und schweiget

 

Gott ist im Fleische; wer kann dies Geheimnis verstehen? Hier ist die Pforte des Lebens nun offen zu sehen. Gehet hinein, eins mit dem Kinde zu sein, die ihr zum Vater wollt gehen.

 

Hast du denn, Höchster, auch meiner noch wollen gedenken? Du willst dich selber, dein Herze der Liebe, mir schenken. Sollt nicht mein Sinn innigst sich freuen darin und sich in Demut versenken?

 

König der Ehren, aus Liebe geworden zum Kinde, dem ich auch wieder mein Herze in Liebe verbinde: du sollst es sein, den ich erwähle allein; ewig entsag ich der Sünde.

 

Süßer Immanuel, werd auch in mir nun geboren, komm doch, mein Heiland, denn ohne dich bin ich verloren. Wohne in mir, mache ganz eins mich mit dir, der du mich liebend erkoren.

 

Menschenfreund Jesus, dich lieb ich, dich will ich erheben; lass mich doch einzig nach deinem Gefallen nun leben! Herr, nimm mich hin; hilf mir, in kindlichem Sinn ewiglich dir nur zu leben.

 

(Gerhard Tersteegen 1731)