„O du fröhliche" im Schatten des Todes von seinen Kindern
Die Geschichte eines Weihnachtsliedes

Der Begründer der Jugendsozialarbeit: Johannes Daniel Falk

 

 

Beate und Winrich Scheffbuch

Die Autoren, Beate und Winrich Scheffbuch, leben in Stuttgart. Er ist Pastor und „Pionier der evangelikalen Entwicklungshilfe".

 

 

Johannes Daniel Falk (1768-1826) lebte als gefeierter Dichter und Literat im „Kulturzentrum" Weimar. Befreundet mit Goethe, Weiland und Herder war er ein geachteter Mann und dichtete am liebsten ironische und bissige Spottverse. Dem Christentum war er kaum noch verbunden, hatte der Rationalismus der Zeit ihn doch ganz in seinen Bann gezogen. Der fast gleichzeitige Tod seiner vier Kinder brachte ihn schließlich zum Umdenken - er entdeckte das Elend der vielen Kinder des Krieges und schrieb schließlich eines unserer schönsten Weihnachtslieder: „O du fröhliche".

 

In der Völkerschlacht von Leipzig 1813 hausten über eine halbe Million Soldaten wie die Barbaren und hatten auch Weimar besetzt. Häuser wurden angezündet, Vieh geraubt und geschlachtet der Hausrat geplündert. Der brutale Krieg brachte unvorstellbares Leid über die Bevölkerung und dem Krieg folgten die Krankheiten - Typhus brach aus. Im Haus des Legationsrates Johannes Daniel Falk erkrankten alle Kinder. Zuerst starb der einjährige Roderich, dann die zwei Monate alte Cäcilie. Wenig später war die sechsjährige Eugenie tot, zwei Wochen darauf auch der dreijährige Guido. Auch Falk selbst lag wochenlang krank im Bett.

Mitten in Verzweiflung und Trauer kam es zu einer durchgreifenden Wende im Leben von Johannes Falk. Einst hatte er mit dem christlichen Glauben gebrochen und sein Theologiestudium an den Nagel gehängt. Jetzt aber - erschüttert vom Tod seiner vier Kinder - schrieb er: Erst als ich merkte, wie hart Gott gegen mich sein musste, da bin ich barmherzig geworden. Der Mann der spöttischen Satire wurde zum selbstlosen Helfer in großer Not.

 

„Vergiss nie, wie arm du warst"

Johannes Falk erinnerte sich auch wieder an seine alte Heimat Danzig, wo er 1768 im Haus eines Perückenmachers geboren wurde. Die Familie mit sieben Kindern war arm. Der Vater musste den jungen Johannes schon mit zehn Jahren von der Schule nehmen. Die Stadtväter von Danzig aber boten dem begabten Jungen den kostenlosen Besuch der Lateinschule an und finanzierten ihm auch später das Universitätsstudium. Als Johannes Falk 1791 das Stipendium übergeben wurde, schärften ihm die Stadtväter ein: Geh mit Gott! Du bleibst unser Schuldner. Zahlen musst du diese Schuld. Wir haben dich als Kind mit Liebe gepflegt. Wenn ein armes Kinder an deine Tür klopft, vergiss nie, wie arm du selbst warst! Und jetzt - im schlimmen Elend der napoleonischen Kriege - irrten Tausende von Straßenkindern, arme und verwilderte Waisen, bettelnd und stehlend durchs Land. Johannes Falk, tief getroffen vom schweren Verlust seiner Kinder, erinnerte sich wieder an die Mahnungen von damals. Wirklich, da standen zerlumpte Kinder an seiner Tür und er nahm sie bei sich auf. Johannes Falk gründete den Verein „Freunde in der Not" und mietete ein leerstehendes Haus an. Seine Schriftstellerei war ihm plötzlich nicht mehr wichtig.

 

Beginn der pädagogischen Arbeit

Er nahm die hungernden und heimatlosen Kinder nicht nur auf, sondern fand bei diesen Kindern auch seine pädagogische Lebensaufgabe. Der hilflose Staat sperrte damals die streunenden Kinder in Arbeitshäuser ein. Falk aber setzte auf Erziehung statt auf Strafe und begeisterte die Kinder mit Spielen, Liedern und seinen meisterhaften Erzählungen. Daneben baute er für seine Kinder eine eigene Schule auf und bemühte sich um Ausbildungsplätze für Lehrlinge in handwerklichen Berufen. Die damals unglaublich große Zahl von über 100 Kindern wurde versorgt. Insgesamt hat Johannes Falk mehr als 500 Kinder für ihr ganzes Leben entscheidend geprägt.

 

Ein Modell für andere

Rückschläge blieben aber nicht aus. Das gemietete Haus musste zurückgegeben werden, weil ein rücksichtsloser Makler das Grundstück aufgekauft und den Mietvertrag gekündigt hatte. Noch acht Tage vor dem Kündigungstermin wussten Falk und seine Kinder nicht, wohin sie ziehen sollten. Schließlich bot man ihnen ein uraltes, ziemlich verfallenes Haus in der Luthergasse an. Falk meinte: Nicht tot wünsche ich mich in dieses Haus! Es gab aber keinen Ausweg. Falk nannte das neue Heim „Lutherhof" und renovierte in jahrelanger Arbeit mit seinen Jugendlichen und anderen Helfern das verfallene Haus, das eigentlich unbewohnbar war. Da der Platz nicht ausreichte, entschloss er sich noch zu einem Neubau. Jetzt wurde in diesem Rettungshaus Platz für 200 Kinder geschaffen. Es entwickelte sich gleichzeitig als Modell für andere pädagogische Anstalten. Der Begründer der lnneren Mission, Hinrich Wichern, hat 1833 für seine sozialdiakonische Arbeit mit verwahrlosten Kindern in Hamburg viele Anregungen von Johannes Falk erhalten.

 

Kinder von Mördern beten

Falk erkannte, wie wichtig es neben einer soliden Berufsausbildung war, diese Kinder zu einem lebendigen und tätigen Glauben zu Jesus Christus zu erziehen. „Kinder von Räubern und Mördern singen Psalmen und beten" schrieb Falk in einem Brief. „Knaben verfertigen Schlösser aus dem schmählichen Eisen, das ihren Händen und Füße bestimmt war, und bauen Häuser, die sie früher nur aufzubrechen verstanden. Ja, es ist wahrlich so, wo Ketten und Fußblöcke, wo Peitsche und Gefängnis nichts vermögen, trägt die Liebe den Sieg davon."

Das Leid lag weiter schwer über der Familie Falk. 1819 starb der 19-jährige hoffnungsvolle Sohn Eduard an Hirnhautentzündung, als er eben sein Studium an der Universität beginnen wollte. Im Tagebuch schrieb Falk: „Den folgenden Tag kamen noch vier Kinder mit einem Empfehlungsschreiben ihres Pastors. Mein Sohn Eduard stand noch auf der Bahre. Wir haben sie nicht abgewiesen. Der Name des Herrn sei hochgelobt!" Bald nach dem Einzug im Lutherhof starb auch noch das letzte ihm verbliebene Kind - die 16-jährige Angelika - sein Sonnenschein.

Ich habe den Herrn Jesus erst recht unter dem Kreuz erkannt, schrieb Johannes Falk einmal. So geben meine Lieder einen anderen Klang als früher. Und ich freue mich, dass ich auch den Ton treffe, der den Kindern an das Herz geht. Ich freue mich an der Geschwindigkeit, mit der sie meine Lieder lernen.

 

Geben ist seliger als nehmen!

Der Höhepunkt der Feste war der Weihnachtsabend. Aus den Werkstätten und Häusern kamen die Kinder durch den Schnee in den Saal, in dem drei Christbäume geschmückt waren. Auf der langen Tafel waren viele Geschenke. Falk legte Wert darauf, dass nicht nur reiche Bürger der Stadt die Kinder beschenkten, sondern die Kinder selbst einander erfreuten. Geben ist seliger als nehmen! Nach diesem Bibelwort handelten die Kinder. Schon Monate vor Weihnachten dachten sie sich Überraschungen aus. Da wurde heimlich gewebt und gestrickt, gebastelt und gedrechselt. Falk erzählte einmal: Nimmer hätte ich's geglaubt, dass mir mein Gott die Gabe der volkstümlichen, kindlichen Rede verliehen hätte. Ich danke ihm dafür von Herzen. Sie ist mir so wert, wie dem Schreiner der Hobel und dem Jäger das Gewehr. Mir gehen die Augen über, wenn nun die Kinder mit ihren glückselig strahlenden Augen das Lied anstimmen, das ich für sie gedichtet habe.

An Weihnachten 1816 war Johannes Falk krank. Für das Fest mit seinen Kindern hatte er nach der Melodie eines alten sizilianischen Volkslieds die eine Strophe gedichtet:

 

O du fröhliche, o du selige,

gnadenbringende Weihnachtszeit!

Welt ging verloren, Christ ist geboren:

Freue, freue dich, o Christenheit.

 

Dazu kamen zwei weitere Verse für Ostern und Pfingsten als Dreifeiertagslied. Später brachte Heinrich Holzschuher (1798-1847), der früher bei Falk in Weimar in der Erziehungsarbeit half und dann als Fürsorger in Gefängnissen und Erziehungsheimen wirkte, das Lied in die jetzige Form.

 

O du fröhliche, o du selige,

gnadenbringende Weihnachtszeit!

Christ ist erschienen, uns zu versöhnen:

Freue, freue dich, o Christenheit!

 

O du fröhliche, o du selige,

gnadenbringende Weihnachtszeit!

Himmlische Heere jauchzen dir Ehre:

Freue, freue dich, o Christenheit!

 

 

Johannes Falk starb 1826 im Alter von 57 Jahren unter großen Schmerzen an einer Blutvergiftung. Unweit von Goethe und Schiller ist er auf dem alten Friedhof von Weimar begraben, ebenso wie später auch seine Frau Karoline, die nach seinem Tod das Kinderheim weiterführte.

 

Aus idea spektrum special Advent & Weihnachten Nr. 7/2011