Der Hamburger Dichter Johann Rist: "Viele Lieder hat mir das liebe Kreuz ausgepresst!"

von Winrich Scheffbuch

 

In Wedel an der Elbe bei Hamburg roch es im Pfarrhaus des Johann Rist (1607-1667) nach Medikamenten. Tausende Leidende, darunter auch viele Gemütskranke, suchten den Arzt und Pfarrer auf. Rist war aber nicht nur Theologe, er war Wissenschaftler und Arzt, Musiker und Dichter.

 

Im großen Naturgarten hinter dem Pfarrhaus wuchsen unzählige Heilkräuter, dazu auch Rosen und Jo­hannisbeersträucher, Weinreben und Küchenkräuter. Er fabrizierte seine Arzneien selbst. In einem Zimmer standen Destillieröfen, Re­torten, Kolben und Reagenzgläser. Dort wurden große Mengen von Kräutern, Wurzeln und Blättern ge­mischt, gekocht und zu heilenden Tinkturen für seine reichhaltige Apotheke verarbeitet.

 

Theologe, Musiker und Wissenschaftler

 

Am frühen Morgen, oft schon vor fünf Uhr, arbeitete der Pfarrer in seinem geliebten Garten.

Im Alter von 28 Jahren hatte der weltmännische Hanseate Johann Rist das ländliche Pfarramt in We­del übernommen und blieb dort 32 Jahre bis zu seinem Tod. Ihn inter­essierten Mathematik, Botanik, Chemie, Heilkunde, vor allem aber Theologie. Besonders liebte Johann Rist als Barockmensch auch Musik. Er spielte gerne Gei­ge. In seiner Gartenlaube, liebe­voll von ihm Lusthäuschen ge­nannt, wurde unendlich viel musiziert, Gott zur Ehre.

Johann Rist wurde als Verfasser von 30 Dramen und Dichter von 650 Liedern vielfach mit Lob und Ehrungen überschüttet. Er gründete die Dichtervereinigung Elbschwanorden und wurde gefeiert und verwöhnt. Man machte ihn ehren­halber zum Kirchenrat und Konsistorialrat. Kaiser Ferdinand III. verlieh ihm den Dichterlorbeer. Später adelte er ihn und gab ihm Wappen und Würde eines kaiserlichen Hof- und Pfalzgrafen. Offen­bar bedeuteten diese Titel Rist nichts. Benützt hat er sie nie.

 

Der König kommt!

 

Johann Rist war von einem ande­ren König viel tiefer beeindruckt, dessen Geschenke von ganz ande­rer Art sind. Vom Heiland und Hel­fer singt er in seinem Adventslied Auf, auf, ihr Reichsgenossen, das jetzt im Gesangbuch Auf, auf, ihr Christen alle heißt:

Der König will bedenken die, welch er herzlich liebt, mit köstlichen Geschenken, als der sich selbst uns gibt durch seine Gnad und Wort. Ja, König hoch erhoben, wir alle wollen loben dich freudig hier und dort.

 

Nun, Herr, du gibst uns reichlich,

wirst selbst doch arm und schwach;

du liebest unvergleichlich,

du gehst den Sündern nach.

Drum wolln wir all in ein

die Stimmen hoch erschwingen,

dir Hosianna singen

und ewig dankbar sein.

 

Wo wir den wahren Helfer finden können

 

Eigentlich war Hamburg im Dreißigjährigen Krieg glimpflich davongekommen. Im Jahr 1643 ge­schah aber das Furchtbare. Das Kriegselend brach auch über die Gemeinde von Johann Rist herein. Allein im Umkreis von Wedel wa­ren es elf Nationalitäten, darunter auch Türken und Tataren, die grau­sam wüteten und Häuser nieder ­brannten. Schwedische Truppen plünderten in sinnloser Zerstö­rungswut das Pfarrhaus und verwü­steten die Apotheke. Die wertvol­len Sammlungen wurden zerschlagen, geraubt, der sorgfältig gepflegte Garten verheert.

Nur wenig ließ der Krieg den Überlebenden übrig. Hunger und Seuchen suchten sie heim. Auch Rist war in dieser Zeit krank und schwach.

Diese wunderbare Botschaft: Frischauf- Der König kommt! ist das Einzige, was die vom Krieg­selend furchtbar Geschundenen - die Betrübten und Vielgeplagten - noch aufrichten und trösten konnte:

 

Auf, ihr betrübten Herzen,

der König ist gar nah;

hinweg all Angst und Schmerzen,

der Helfer ist schon da.

Seht, wie so mancher Ort

hochtröstlich ist zu nennen,

da wir ihn finden können

im Nachtmahl, Tauf und Wort.

 

Auf, auf, ihr Vielgeplagten,

der König ist nicht fern;

seid fröhlich, ihr Verzagten,

dort kommt der Morgenstern.

Der Herr will in der Not

mit reichem Trost euch speisen;

er will euch Hilf erweisen,

ja dämpfen gar den Tod.

 

Du Hirtenvolk, erschrecke nicht! Es gibt Frieden!

 

In dem großen Wunder der Menschwerdung von Jesus, dem Gottessohn, findet Rist die unvergleichliche Freude. In seinem Weihnachtslied Ermuntre dich, mein schwacher Geist stellt er die krassen Gegensätze der Christnacht heraus: das kleine, schwache Knäbelein macht unüberwindlich stark und voll Glaubensmut. Diese gewaltigen Zeilen vertonte der Barockmusiker Vincent Lübeck in der Kantate Willkommen, süßer Bräutigam und später Johann Sebastian Bach so eindrücklich im Weihnachtsoratorium:

 

O Freuden zeit, o Wundernacht,

dergleichen nie gefunden,

du hast den Heiland hergebracht,

der alles überwunden,

du hast gebracht den starken Mann,

der Feur und Wolken zwingen kann,

vor dem die Himmel zittern

und alle Berg erschüttern.

 

Brich an, du schönes Morgenlicht,

und lass den Himmel tagen!

Du Hirtenvolk, erschrecke nicht,

weil dir die Engel sagen,

dass dieses schwache Knäbelein

soll unser Trost und Freude sein,

dazu den Satan zwingen

und letztlich Frieden bringen.

 

Winrich Scheffbuch lebt in Stuttgart, ist Pastor und „ Pionier der evangelikalen Entwicklungshilfe".


Erschienen am: 2008/8 (idea spektrum spezial Weihnachten & Jahreswechsel)