Wolfgang Bühne – Was ist das Evangelium

Audioabschrift – KfG Ost Groß Dölln, 18.-20. März 200

 

 

Ja, ich habe heute überlegt, was vernünftig und weise ist, was ich zu dem Thema auf dem Zettel: wie können wir das Evangelium predigen? sagen könnte. Aber ich dachte, dass Andreas dazu schon sehr viel gesagt hat und auch noch sagen wird, nämlich über das Wie und so habe ich mich dann entschlossen, nach Absprache mit Wilfried, dass ich besser darüber spreche: Was ist das Evangelium? Das ist vielleicht ein bisschen trockener, das Thema, aber ich glaube, dass es sehr wichtig ist. Und ich sage auch sofort am Anfang, dass es ein sehr polemischer Vortrag sein wird, im buchstäblichen Sinn, auch ein sehr einseitiger Vortrag. Wenn ich ein anderes Publikum hätte, würde ich wahrscheinlich eine ganz andere Seite betonen, aber ich glaube, diese eine Seite, die ich etwas sehr stark betone, muss einfach auch einmal angerührt und gesagt werden. Was ist das Evangelium? Ich bin auch total motiviert worden durch Andreas, denn er sagt unter anderem: Zur Liebe gehört auch, dass man korrigiert. Also diesen Satz habe ich mir auf jeden Fall behalten. Etwas, was dem Andreas wahrscheinlich nicht so leicht fällt wie mir, dafür kann ich nicht so schön grinsen und lachen wie er. Und jetzt habe ich meine Bibel vergessen.

Das Thema: Was ist das Evangelium? ist sehr, sehr umfangreich und natürlich kann ich in einem Vortrag das nicht erschöpfend behandeln. Ich habe auch nicht über alle Aspekte genügend nachgedacht, so dass ich darüber etwas sagen könnte. Ich werde heute nur einige Schwerpunkte setzen. Im Neuen Testament wird vom Evangelium des Reiches gesprochen, Evangelium der Herrlichkeit, Evangelium des Christus, Evangelium Gottes, Evangelium des Herrn, Evangelium des Friedens. Und da wird geredet vom ewigen Evangelium. Paulus spricht von seinem Evangelium und auch von einem anderen Evangelium. Also das Neue Testament ist voll davon, bestimmte Aspekte des Evangeliums anzudeuten oder deutlich zu machen. Und ich werde nur auf einige wenige Punkte eingehen. Ich möchte kurz das Wort Evangelium erklären, was das Wort von seiner Herkunft her bedeutet. Und dann werde ich ein bisschen ausführlicher über den Aspekt der Buße sprechen, der sehr, sehr wichtig ist, aber in unserer heutigen Zeit von uns, und ich muss mich da einschließen, oft vernachlässigt oder unterbetont wird. Und zum Schluss werde ich versuchen, noch das Wort vom Kreuz vorzustellen. Eigentlich das schönste Thema, aber auch das wird heute nur angetippt werden von mir.

Also zuerst einmal das Wort oder der Begriff Evangelium. Das griechische Wort Evangelion kann man mit gute Nachricht oder gute Botschaft übersetzen, das wissen wir alle, oder Siegesbotschaft. Und dieser griechische Begriff wurde damals zur Zeit des Paulus gebraucht und entstammt dem religiösen Wortschatz der Römer. Er wurde in Verbindung mit dem Kaiserkult gebraucht. Also die Kaiser, das wissen wir, galten ja damals als göttliche Personen. Und wenn ein Nachkomme geboren wurde, ein Nachkomme eines Kaisers, dann wurde das als ein Evangelium bezeichnet. Auch die Nachricht seiner Thronbesteigung oder irgendwelche Regierungserlasse, die wichtig waren, wurden als Evangelium verkündigt. Also ein Evangelium war damals nicht irgendeine Nachricht aus Sport, Politik oder sonst irgendetwas, sondern hatte so etwas wie eine Heilsbedeutung. Das war also für das religiöse Leben der Römer damals ein ganz wichtiger Begriff. Interessant ist, dass das Wort Evangelium im Neuen Testament gar nicht so häufig vorkommt. Der Apostel Johannes benutzt das Wort Evangelium nur ein einziges Mal in der Offenbarung. In seinem Evangelium und in seinen Briefen kommt dieses Wort überhaupt nicht vor. Petrus erwähnt es zweimal, in 1. Petrus 1 und 4. Aber der Apostel Paulus benutzt diesen Begriff in seinen Briefen sehr, sehr oft. Und genau dieser Apostel hat einen Brief geschrieben, um das Evangelium zu erklären. Und das ist welcher Brief? Ja, der Römerbrief. Und einen Brief schrieb er, um das Evangelium zu verteidigen. Das ist der Galaterbrief.

Und lesen wir mal die ersten Verse des Römerbriefes. Das ist auch ein ganz guter Einstieg in dieses Thema. Also im Römerbrief wird das Evangelium erklärt. Vers 1ff: „Paulus, Knecht Jesu Christi, berufener Apostel, abgesondert zum Evangelium Gottes (welches er durch seine Propheten in heiligen Schriften zuvor verheißen hat), über seinen Sohn, (der aus dem Samen Davids gekommen ist dem Fleische nach, und als Sohn Gottes in Kraft erwiesen dem Geiste der Heiligkeit nach durch Totenauferstehung) Jesus Christus, unseres Herrn, (durch welchen wir Gnade und Apostelamt empfangen haben für seinen Namen zum Glaubensgehorsam unter allen Nationen, unter welchen auch ihr seid, Berufene Jesu Christi) – allen Geliebten Gottes, berufenen Heiligen, die in Rom sind: Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“ Das finde ich also sehr interessant, dass dies Evangelium so beginnt und ich denke, den Römern hat es in den Ohren geklingelt, denn hier ist die Rede von einem Sohn Davids, Kraft erwiesen, Sohn Gottes, zum Glaubensgehorsam unter allen Nationen. Also das war wirklich Evangelium, eine ganz wichtige Botschaft, eine Heilsbotschaft, die ernst genommen werden soll und muss. Und diese Botschaft ist so herrlich, so durchschlagend für den Apostel Paulus, und ich hoffe auch für uns, dass er dann in Vers 16 weiter sagt: „Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen.“ Und wenn das also so ist, dass das Evangelium eine Heilsbotschaft ist, eine Botschaft mit ganz großer Auswirkung, für alle Nationen, wie Paulus hier sagt, dann muss diese Botschaft natürlich auch entsprechend verkündigt werden.

Ich fand hier in dem Buch «In der Kraft des Geistes, Verkündigung mit Vollmacht», einige Sätze und die habe ich mir angestrichen. ‚Das Problem, um das es geht, ist der radikale Bruch zwischen der Botschaft vom blutigen Kreuz und gekonnten, ausgeklügelten, spielbergschen Methoden, sie weiterzusagen. Das Kreuz Christi gibt nicht nur die Substanz unserer Predigt vor, sondern es soll auch den Stil bestimmen, in dem wir sie vortragen.’ Versteht ihr, was ich meine? Also wenn wir eine Heilsbotschaft zu verkündigen haben von solch einer Bedeutung und Auswirkung, dann wird diese Botschaft auch den Stil unserer Verkündigung prägen. Also dann werden wir nicht wie ein Clown auftreten und Hallotria machen. Wir können uns nicht vorstellen, dass damals ein Herold eines Königs ein Evangelium predigte, eine Botschaft fürs ganze Volk, und seine Späße dabei gemacht hätte, sondern er hat sicher in dem nötigen Ernst und mit der nötigen Autorität die Botschaft weiter gegeben. Also wenn wir eine Ahnung haben, einen Eindruck von der Wichtigkeit dieser uns anvertrauten Botschaft, dann wird das auch den Stil unserer Predigt und Verkündigung bestimmen. Das meine ich, ist ganz wichtig, dass wir das beachten.

Aber bevor jetzt der Apostel Paulus in den folgenden Kapiteln über die Bedeutung des Kreuzes spricht, über den Gnadenstuhl, über die Versöhnung, über die Rechtfertigung in den Kapiteln 3, 5 und so weiter, behandelt er zunächst einmal von Kapitel 1, 18 bis Kapitel 3, 20 die Gottlosigkeit und die völlige Verdorbenheit und Verlorenheit des Menschen, der unfähig ist, Gott zu gefallen. Und damit kommen wir also zu einem sehr aktuellen und notvollen Punkt, an dem das Dilemma der heutigen Evangelisation und auch die Ursache vieler oberflächlichen Bekehrungen deutlich wird. Genau das, was Paulus hier am Anfang ausführlich erklärt, das wird von uns heute oft nur sehr oberflächlich gepredigt und wenn ich euch das sage, dann ziehe ich mir diesen Hut natürlich selbst auch auf. Ich muss mich da selber auch immer wieder hinterfragen, ob ich wirklich diesen Punkt des Evangeliums ausführlich und genügend deutlich mache. Wenn ich gesagt habe, dass das die Ursache vieler oberflächlicher Bekehrungen oder Scheinbekehrungen ist, dann darum, weil ich denke, dass das auch ein Grund für die Tatsache ist, dass wir heute so viel Nacharbeit machen müssen, so viel Seelsorge üben müssen, so viele Seelsorgebücher haben; das gab es in vergangenen Jahrhunderten kaum. Warum eigentlich nicht? Weil in vergangenen Jahrhunderten die Predigt des Evangeliums so deutlich war, dass Scheinbekehrungen zwar nicht ausgeschlossen waren, die gab es zu allen Zeiten, aber doch prozentual deutlich weniger vorkamen. Und die Leute wussten, was sie zu tun hatten. Wenn sie sich bekehrten und auch, wenn sie als Gläubige in der Verkündigung standen, wurden ihnen deutliche Worte gesagt und deswegen war Seelsorge nicht ein so wichtiges Thema, wie in unserer Zeit, wo, wie ich meine, oft eine oberflächliche Verkündigung ist, sowohl des Evangeliums, wie auch in der Gemeinde. Und deswegen muss so viel Nacharbeit in der Seelsorge praktiziert werden. Und ich bin davon überzeugt, wenn wir das Evangelium wirklich ausreichend und deutlich verkündigen würden, hätten wir viel weniger Arbeit hinterher in der Nacharbeit, in der Seelsorge.

Natürlich hätte das auch zur Folge, dass unsere Evangelisationsverkündigungen dann auch auf andere Reaktionen stoßen würden. Wenn wir die Buße so betonen würden, wie Paulus das getan hat oder wie die Puritaner oder die Erweckungsprediger das getan haben, dann würde man nach einer Verkündigung nicht aufstehen und klatschen oder auch zwischendurch. Mir ist das auch einmal passiert im Gefängnis in Siegburg, das werde ich nie vergessen, da hatten wir eine Evangelisation bei den Knackis. Nun, die kennen das natürlich nicht besser. Ich hatte dann gepredigt und ich war ganz verwirrt, als sie anschließend Beifall geklatscht haben. Ich wusste gar nicht wofür, denn ich habe, meine ich, ihnen nicht geschmeichelt. Aber sie meinten, das gehört dazu. Wenn einer etwas gesagt hat, dann muss man anstandshalber dann auch Beifall klatschen. Heute ist das üblich geworden in manchen Verkündigungen, auch in evangelistischen Verkündigungen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Herr Jesus oder der Apostel Paulus oder ein Erweckungsprediger mit dieser Reaktion rechnen konnten, wenn sie das Evangelium gepredigt haben.

Vielleicht ein Beispiel dazu. John Wesley, der mir, und ich hoffe euch auch, theologisch zwar nicht so nahe steht, aber in seiner Hingabe ein ungeheures Vorbild ist, der hat ja ein Tagebuch geschrieben, das sehr, sehr interessant zu lesen ist. Er hat einen ausgezeichneten Stil, sehr kurz und knapp, manchmal ein bisschen sarkastisch. Dort schreibt er einmal von einer Straßenevangelisation: „Ich war noch keine hundert Meter gegangen, als uns der Straßenpöbel aus soundso wie eine Flut überfiel und überwältigte. Der Mob verteidigte er sich so gut er konnte, die Leute waren jedoch fast alle müde und außerdem in der Minderheit, so dass sie in kurzer Zeit von den Gegnern zusammen geschlagen wurden. Die anderen liefen weg und überließen mich meinem Schicksal.“ Also er hatte morgens früh schon gepredigt und der Mob war da und so weiter. „Es war hoffnungslos, irgendetwas sagen zu wollen, denn der Lärm auf beiden Seiten glich dem Gebrause der See. So zerrten sie mich den ganzen Weg entlang, bis wir in die Stadt kamen. Ich bemerkte, dass die Tür eines großen Hauses offen stand und wollte schnell hinein gehen. Aber ein Mann ergriff mich bei den Haaren und zog mich rückwärts in die Mitte des Pöbels zurück. Sie zerrten mich weiter durch die Hauptstraße, von einem Ende der Stadt bis zur anderen. Die ganze Zeit über sprach ich zu denen, die mich hören konnten, ohne irgendwelche Müdigkeit oder Erschöpfung zu verspüren.“ Also das ist wirklich eine interessante Art von Evangelisation. Er ist wirklich zu den Leuten hingegangen. „Im Westen der Stadt sah ich eine Tür halb offen stehen. Ich ging geschwind darauf zu und wollte ins Haus gehen, aber ein Mann, der im Landen stand, ließ mich nicht durch, da die Masse sonst, wie er meinte, sein Haus niederreißen würde. Während ich in der Tür stand fragte ich: Wollt ihr mich nicht erst einmal sprechen lassen? Viele schrieen: Nein, nein, schlagt ihm den Schädel ein! Nieder mit ihm! Tötet ihn sofort! Andere sagten: Nun, wir wollen ihn erst hören. Ich fragte weiter: Was habe ich denn verbrochen? Habe ich auch nur einen von euch in Wort oder Tat beleidigt? Ich sprach noch eine Viertelstunde lang, bis meine Stimme völlig versagte. Da erhoben die Massen ihre Stimme und brüllten: Weg mit ihm! Weg mit ihm! In der Zwischenzeit erholte ich mich körperlich, auch meine Stimme kehrte zurück, und ich betete laut. Da wandte sich der Mann, der vorher den Mob angefeuert hatte, um und sagte: Mein Herr, ich werde mein Leben für sie lassen, folgen sie mir und keiner soll es wagen, Ihnen auch nur ein Haar zu krümmen. Zwei oder drei seiner Kumpane bestätigten sein Wort, indem sie dicht an mich herantraten, um mich zu schützen. Zur gleichen Zeit rief der Mann im Laden: Pfui, schämt euch, lasst ihn gehen! Ein aufrichtiger Mann, ein Fleischer, der ein wenig abseits stand und sagte, dass es eine Schande wäre, was die Leute vorhätten, und riss vier oder fünf der Hitzköpfe zurück.“ Und so weiter und so weiter. Also das war damals Evangelisation. Wenn man zu den Menschen ging, wurde man entsprechend behandelt.

Nun, das erleben wir heute nicht mehr. Natürlich auch weil wir etwas zivilisierter geworden sind, aber ich denke, das hängt auch damit zusammen, wie wir die Botschaft verkündigen. Die Botschaft dieser Männer damals war so deutlich, so radikal, so provozierend, dass die Leute wirklich zu Steinen gegriffen haben und die Gemüsehändler bei Whitfield, bei seinen Predigten oder vor seinen Predigten, kostenlos jede Menge faules Gemüse anboten für alle, die sich damit bewaffnen wollten, oder faule Eier, und haben dann losgefeuert. Also das war damals eine spannende Sache zu evangelisieren. Natürlich Whitfield hatte auch seine Freunde in diesen Versammlungen, junge Männer, die schauten dann darauf, wer die Taschen mit Eiern voll hatte, und dann gingen sie mal ganz cool durch die Reihen und schlugen plötzlich mal so kurz auf die Hosentaschen dieser Leute. Und dann wurde es ihnen übel vor ihrem eigenen Gestank und dann sind sie abgehauen. Also das nebenbei.

Heute müssen wir sagen, dass wir oft ein Evangelium verkündigen, das letzten Endes nur noch die Botschaft hat: Jesus liebt dich. Und das ist einfach ein verkürztes Evangelium, wenn man das überhaupt noch Evangelium nennen kann. Beim letzen Jesustag, 11. September letztes Jahr in Berlin, da waren also 30-40 Tausend Leute in Berlin zusammen, um mit Plakaten, Luftballons, Sprechchören und Bannern durch die Stadt zu ziehen. Manche von euch haben das vielleicht sogar miterlebt. Da war auf einem der Transparente das Wort zu lesen: Gib Jesus eine Chance! Ich meine, die Leute, die solch ein Plakat mit sich rumschleppen, die haben das sicherlich gut gemeint und der Herr wird das auch anerkennen, aber mit dieser Aufforderung wird der Herr Jesus als ein hilfloser Bettler hingestellt, der auf unsere Almosen oder auf unser Erbarmen irgendwie angewiesen ist. Gib Jesus eine Chance. Und damit wird eigentlich das Evangelium auf den Kopf gestellt und pervertiert, denn nicht Jesus braucht eine Chance, sondern der Mensch kann sich glücklich schätzen, wenn er die Möglichkeit bekommt, sich zu bekehren, sich zur Umkehr rufen zu lassen. Die Botschaft, die uns aufgetragen ist, ist für den normalen Menschen auf der Straße weder interessant, noch frohmachend, sondern höchst ärgerlich und anstößig. Denn der Missionsbefehl des Herrn im Lukasevangelium lautet: In seinem Namen muss was gepredigt werden? Buße und Vergebung der Sünden allen Nationen. Es beginnt also mit der Buße als ein Teil, als ein wichtiger Teil des Evangeliums. Und deswegen beginnt auch Paulus seine Erläuterung des Evangeliums in Römer 1 mit Gottes Zorn vom Himmel her über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen.

In diesem schönen Büchlein, leider gibt es das nicht mehr, von Onkel Ernie, der manchem von euch bekannt ist, Ernie Klassen. Der war ja wirklich ein Meister in der persönlichen Evangelisation und auch in der Situationspredigt. Der beschreibt hier in dem Büchlein «Man trifft sich nie von ungefähr» ein Erlebnis, das typisch für ihn ist. „Vor vielen Jahren, als unsere Bibelschule noch in Kalkar am Niederrhein war, fuhr ich nach Kleve und habe da in einem Lebensmittelgeschäft eingekauft. Da stand eine Dame und sie gab jedem eine Suppe zum probieren.“ Das kennen wir ja, bei Aldi und so weiter da gibt es dann ab und zu mal von Knorr oder Maggi dann so eine Suppe. „Eine Zeit lang sah ich ihr zu und beobachtete, dass nur wenige Leute das Angebot der Frau annahmen. Die meisten gingen vorüber. Endlich ging ich zu ihr und sagte: ‚Sie haben das gleiche Problem wie ich. Sie bieten ein Geschenk an und niemand nimmt es. Sie alle gehen vorbei. Ich möchte gerne ihre Suppe probieren. Aber ich biete Ihnen auch ein Geschenk an, ich bin Beauftragter des Herrn Jesus und das Geschenk ist das ewige Leben durch den kindlichen Glauben an den Herrn Jesus Christus. Aber sehr, sehr viele gehen vorbei und wollen es nicht annehmen.’“ Ich finde es ein sehr schönes und anregendes Beispiel für eine Situationspredigt, wenn man das überhaupt so nennen kann, aber auf jeden Fall für einen Anknüpfungspunkt, für ein Möglichkeit, mit einem Menschen ins Gespräch zu kommen. Aber das Bild hinkt, denn die Frau im Supermarkt bietet etwas an, was gut schmeckt und was unserem Selbsterhaltungstrieb auch entspricht. Aber der Bußruf, also der Ruf zur Umkehr ist für die meisten Menschen widerlich, abstoßend, überhaupt nicht bedürfnisorientiert und gleicht daher nicht so sehr einer wohlschmeckenden Suppe, die gut gewürzt ist, sondern mehr einem Brechmittel, zu dem nur der dankbar greifen wird, der eine vergiftete Speise zu sich genommen hat. Darf ich das so deutlich sagen? Oder? Okay. Und ich meine, das wäre wirklich ein ganz wichtiger Punkt. Für wen ist das Evangelium eine frohe Botschaft? Doch nur für denjenigen, der weiß, dass er Rettung braucht. Für alle anderen ist das ein Brechmittel.

Spurgeon schreibt einmal: „Der Arminianer sagt: Wenn der Mensch will, kann er errettet werden. Wir antworten: Werter Herr, das glauben wir alle. Das Problem ist nur, der Mensch will nicht. Wir behaupten, dass kein Mensch zu Christus kommen will, wenn er nicht zu ihm gezogen wird. Das behaupten wir nicht nur, sondern Christus sagt es: Ihr wollt nicht zu mir kommen, damit ihr Leben habt. Und solange dieses: Ihr wollt nicht! in der Schrift steht, werden wir auch keine andere Lehre vom freien Willen des Menschen glauben. Es ist seltsam, wenn die Leute über den freien Willen reden, sprechen sie über etwas, das sie überhaupt nicht verstehen. Nein, sagt der eine, ich glaube, dass der Mensch errettet werden kann, wenn er will. Das steht überhaupt nicht zur Debatte. Die Frage ist: Kann der Mensch von alleine von Natur aus überhaupt wollen, sich den demütigen Bedingungen des Evangeliums zu unterwerfen? Wir erklären auf Grundlage der Autorität der Bibel, dass der Wille des Menschen derart auf Unheil ausgerichtet, dermaßen verdorben und so sehr zu allen Übeltaten bereit ist und so sehr allem Guten abgeneigt ist, dass ohne die mächtige, übernatürliche und unwiderstehliche Einflussnahme des Heiligen Geistes kein Mensch jemals zu Christus gezogen wird.“ Also ich sage noch einmal entschuldigend, ich betone jetzt mal mit Nachdruck eine Seite, die allgemein etwas vernachlässigt wird.

Tozer, dessen Bücher ich außerordentlich schätze, schrieb einmal vor einigen Jahren, so vor 40/50 Jahren: „Die Bemühungen der liberalen und neo-evangelikalen Modernisten, Menschen für Gott zu gewinnen, indem sie die sanften Seiten der Religion hervorkehren, sind ein unsägliches Übel, weil dabei vor allem der eigentliche Grund für unsere Trennung von Gott unterschlagen wird!“ Also Tozer hat das schon vor vielen Jahren deutlich gesehen, wenn wir nur die sanfte Seite des Glaubens, des Evangeliums, deutlich machen, dann wird der eigentliche Grund unserer Trennung von Gott unterschlagen. Ich zitiere noch einmal Tozer: „Dies Konzept des Christentums ist wenig mehr als schwächlicher Humanismus, gepaart mit genauso schwachem Christentum, um ihm kirchliche Weihen zu verleihen. Man kann es schnell an seinem Ansatz erkennen. Stets beginnt es mit dem Menschen und seinen Bedürfnissen, dann erst sieht es sich nach Gott um; wahres Christentum offenbart Gott als den, der die Menschen sucht, um sie von ihrem Drehen um sich selbst zu befreien!“ Und ein anderer Mann hat das vor 150 Jahren schon geschrieben, Soeren Kierkegaard. Und das sind hier auch sehr harte Worte und auch sehr einseitig, aber das muss einmal gesagt werden. „Falls nicht das Sündenbewusstsein einen Menschen treibt, so muss ein Mensch verrückt sein, um sich mit dem Christentum einzulassen. Es muss ein Ende gemacht werden mit all dem weichlichen Geschwätz davon, dass das Christentum die tiefste Sehnsucht befriedige usw. Nein, nur »Kampf und Not eines geängsteten Gewissens« können einem zu dem Wagnis helfen, mit dem Christentum etwas zu tun haben zu wollen, sonst ist es zum Ärgernis und soll zum Ärgernis sein.“

Nun, warum hat der heutige Mensch kein Bedürfnis nach diesem Evangelium? Ich glaube, weil er keine Selbsterkenntnis hat und damit natürlich auch keine Sündenerkenntnis, weil er Gott und die Eigenschaften Gottes nicht kennt. Er kennt seine Heiligkeit nicht, seine Gerechtigkeit nicht, seine Souveränität nicht, seine Gnade nicht und seine Liebe auch nicht. Und das muss, meine ich, in unserer Evangelisation deutlich gemacht werden. Das ist ein ganz wichtiger, unverzichtbarer Bestandteil des Evangeliums, dieser Heilsbotschaft. Die meisten von uns kennen den bekannten Satz von Calvin: Nur im Spiegel der Gotteserkenntnis erkennen wir uns selbst. Also wenn wir Gott erkennen in seinen Eigenschaften, in seiner Heiligkeit, in seiner Liebe, dann stehen wir vor einem Spiegel und dann lernen wir uns auch selbst kennen. Ein bekanntes Beispiel ist Jesaja 6. Jesaja ruft aus: „Wehe mir, denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen und inmitten eines Volkes von unreinen Lippen wohne ich; denn meine Augen haben den König, den Gott der Heerscharen gesehen. Das ruft Jesaja aus, als er einen Blick in den Himmel tut und den Thron Gottes und den Gott der Herrlichkeit sieht umgeben von den Cherubim. Als er das sieht, fällt er zu Boden und kann nur noch ausrufen: Wehe mir! Denn er sieht seine ganze Sündhaftigkeit, obwohl er zu diesem Zeitpunkt schon ein Prophet war. Und ich meine, dass hier an diesen Beispielen die Defizite der heutigen Evangelisation deutlich werden. Evangelisation wird immer mehr zu einer Unterhaltungsveranstaltung und der Evangelist wird immer mehr zum Talkmaster, zum Entertainer, der mit Scharm und Witz die Besucher bei Laune hält. Ich karikiere bewusst ein bisschen. Er bietet den Zuhörern das, was sie gerne hören möchten, und nicht mehr das, was Gott als Heilsbotschaft, als Evangelium, verkündigt haben möchte. An dieser Stelle möchte ich auf das wichtige Buch von Wilfried Plock hinweisen, die meisten von euch haben es wahrscheinlich schon: Gott ist nicht pragmatisch. Wie Zweckmäßigkeitsdenken die Gemeinde zerstört. Also dieser Ansatz, das Evangelium Bedürfnisorientiert oder Besucherfreundlich zu verkündigen, wird in diesem Buch sehr, sehr deutlich behandelt. Also Gott ist eben nicht pragmatisch.

Ein anderes Beispiel. Der weltweit bekannteste Fernsehprediger ist Robert Schuller. Ich weiß nicht, ob euch der Name bekannt ist. Hier in Deutschland vielleicht nicht so wie gerade in den USA und auch in Russland. Mit seinem sogenannten Gottesdienst ‚Stunde der Kraft’ in seiner Kristallkirche erreicht er jeden Sonntag etwa 20 Millionen Zuhörer, so sagt er. Also diese Sendung wird übertragen in alle möglichen Sprachen und auch hier in Deutschland übertragen. Und das wird von vielen Menschen gesehen. Ich habe auch viele davon persönlich gesprochen. Vor einigen Monaten war er in Deutschland, gar nicht weit weg von hier, in Lüdenscheid und ich war natürlich sehr, sehr gespannt, diesen Mann persönlich kennen zu lernen. Ich hatte manches von ihm gelesen und auch über ihn gelesen. Und das war also ganz interessant. In der Kulturhalle in Lüdenscheid hielt er zwei Abendvorträge und am Samstag war dann eine so genannte Pastorenkonferenz, wo ich mich dann auch reingemogelt habe, um diesen Mann nun mal aus nächster Nähe zu erleben. Zunächst einmal zu diesen Abenden in der Kulturhalle, 800-1000 Besucher, ich weiß es nicht genau, vielleicht waren es mehr, oder auch weniger. Es fand erst einmal ein 75-minütiges Vorprogramm statt. Also ich wollte gerne Robert Schuller kennen lernen und musste mir dann erst mal ein paar Bands gefallen lassen und eine Vorstellung der Arbeit von Walter Heidenreich und so weiter und so fort.

Und dann wurde Robert Schuller durch eine Seitentür hereingeführt, natürlich unter stehenden Ovationen der Leute. Und dann hat er wiederum nicht 20 Minuten, das muss man sagen, sondern mindestens eine Stunde lang aus seinem Leben erzählt und geplaudert. Und das war auch recht nett anzuhören, es ist wirklich ein sympathischer Mann, der gut unterhalten kann. Irgendwie ist er einem sehr sympathisch, finde ich, also man kann ihn wirklich gerne haben. Er hat auch Humor, auch durchaus Selbstkritik, aber er hat in der ganzen Zeit, wenn ich mich recht entsinne, die Bibel überhaupt nicht in der Hand gehabt. Ab und zu hat er einmal einen Bibelvers zitiert, aber nur ganz bestimmte Bibelverse. Und er scheute sich nicht, gleich am ersten Abend zu sagen: „Es ist unweise und falsch den Zuhörern in der Evangelisation zu sagen, dass sie Sünder sind.“ Und die Reaktion des Volkes, und das waren alles bekennende Christen, war ein sofortiger Applaus. Also sagt ein weltweiter Fernsehevangelist, der von Billy Graham empfohlen wurde und wird und sich ein Freund von Billy Graham nennt: „Es ist völlig unweise und falsch den Zuhörern zu sagen, dass sie Sünder sind.“ An anderer Stelle hat er geschrieben: „Wenn ein Mensch glaubt, dass er verloren ist, kann er nicht gerettet werden.“

Das musst du dir mal vorstellen! Also der stellt das Evangelium auf den Kopf. Die Bibel sagt, du musst erst mal erkennen, dass du verloren bist, damit du gerettet werden kannst. Für ihn heißt Bekehrung, dass man sich von einem negativen Selbstbild zu einem positiven Selbstbild bekehrt. Und deswegen ist Selbstannahme, Selbstliebe und so, sein Evangelium. Er hat eine Autobiographie geschrieben, die im Schulte & Gerth Verlag erschienen ist, wie auch die Bücher von Bill Hybels und Rick Warren, Meine Lebensreise, ein dicker Schinken. Ich habe das mit großem Interesse gelesen. Das Buch ist auch gut und sehr interessant geschrieben, aber es gibt eben auch Aufschluss über seine ganze Entwicklung. Er kommt aus dem Calvinismus, aus dem holländischen, auch ganz interessant. Und er sagt von sich, dass er eben den Calvinismus jetzt ganz neu definiert und unserer Zeit anpasst und dass er eben eine Theologie, eine Mischung von Psychologie und Theologie und so weiter, geschaffen hat. Und in dieser Autobiographie schildert er seinen Werdegang zu einer positiven Theologie und wie er den angeblichen Gegensatz zwischen den Lehren des Paulus und den Lehren Jesu erkannt hat. Also er sagt mit anderen Worten, die Theologie des Paulus kann man überhaupt nicht überein bringen mit der Theologie des Herrn Jesus. Und er sagt dann und schreibt hier auch sehr deutlich, dass der Herr Jesus niemals irgendjemand einen Sünder genannt habe. Was sagt ihr dazu? Er hätte also die ganze Bibel durchgelesen, das ganze Neue Testament, und der Herr Jesus hätte nicht ein einziges Mal einen Menschen einen Sünder genannt. Nun halte ich das für möglich, wenn man das Wort Sünder in der Konkordanz sucht, dass man das nicht findet. Aber er hatte sich nicht gescheut, den Juden zu sagen: Ihr seid von eurem Vater, dem Teufel. Oder er hat einen seiner Jünger sogar als Teufel angeredet: Weiche von mir Satan. Er hat die Pharisäer mit entsprechenden Worten angesprochen: Otterngezücht, Schlangenbrut und dergleichen mehr. Und das deckt sich doch wohl mit der Bezeichnung Sünder. Oder nicht?

Aber so versucht er den Menschen zu suggerieren, dass es eben völlig falsch ist, dass man von sich erstmal eine schlechte Meinung hat, nein, das ist Gift, wir müssen also gut über uns selbst denken, und nur dann, wenn wir ein gutes und gesundes Selbstbild haben, dann können wir uns auch positiv entwickeln. Dieses, sein so genanntes Evangelium, führte dann auch dazu, dass er im Jahr 1999 von dem Großmufti von Syrien – das ist einer der fünf großen muslimischen Führer im Islam – eingeladen wurde, in seiner Moschee zu predigen, vor 15000 Moslems. Und er berichtet, wie er dann vor diesen Menschen gepredigt habe mit einem Mufti, den er als einen der großen Glaubensführer, die Christus die Ehre geben, bezeichnet. Und das führt eben dahin: Er schreibt, dass er da bei diesem Mufti die gleiche Aura verspürt hat wie bei Mutter Theresa, bei Billy Graham und bei Yonggi Cho. Also das ist ganz hoch interessant. Und er endet dann seine Biographie und seine Ausführungen mit folgenden Worten: „Und ich wage es, einen mutigen Traum zu träumen, dass positiv denkende Gottesgläubige sich über die Illusion erheben werden, die viele Religionen der Welt ihnen aufgezwängt haben, und dass die Oberhäupter der großen Glaubensrichtungen die dogmatischen Eigenheiten überwinden und sich entscheiden werden, sich nicht auf die Meinungsverschiedenheiten zu konzentrieren, sondern über die trennenden Dogmen hinwegzugehen und  zusammenzuarbeiten, um der Welt Frieden, Wohlstand und Hoffnung zu bringen.“ Also das ist seine Vision, sein Traum, vom Möglichkeitsdenken, dass alle Glaubensführer der verschiedenen Religionen mithelfen, dass diese große eine Weltreligion entsteht.

Warum sage ich euch das? An sich wäre es gar nicht so interessant die Biographie von Robert Schuller zu lesen, wenn er nicht der geistige und geistliche Vater wäre von Rick Warren und von Bill Hybels. Und genau diese beiden Männer schicken immer wieder ihre Mitarbeiter in die Seminare von Robert Schuller. Motivationstraining, dafür ist Robert Schuller nicht nur in den Willow-Creek-Gemeinden bekannt, sondern auch in der ganzen Welt. Er wird oft zu ganz anderen Veranstaltungen eingeladen, weil er wirklich motivieren kann und Leute auf Trapp bringt. Er schreibt hier in diesem Buch davon, wie Rick Warren und Bill Hybels seine Ideen praktiziert und dabei ihren Lehrer übertroffen haben. Und wenn man also sehen möchte, wie sich seine Lehren auswirken, dann möge man doch bitte nach Willow Creek (Bill Hybels) gehen oder nach Saddleback (Rick Warren), da würde man die praktischen Ergebnisse seiner Philosophie kennen lernen. Und deswegen glaube ich, dass wir wirklich aufpassen müssen: Was verkündigen wir? Was ist das Evangelium? Wohin führt es, zu welchen Konsequenzen führt es, wenn wir die Buße, die Sündenerkenntnis, in unserer Evangelisation unterbetonen? Da kommen wir sehr, sehr schnell dahin, wo eben auch viele Evangelisten heute hinkommen, die ein großes Publikum erreichen. Aber die Frage ist: Mit welcher Botschaft? Und angesichts dieser Entwicklungen ist es also nötig, dass wir uns das Menschenbild der Bibel neu bewusst machen und in unserer Verkündigung nicht davon ausgehen, dass der Mensch im Kern gut ist und ein Suchender ist. Natürlich sucht der Mensch etwas, aber er sucht nicht Vergebung seiner Sünden, nicht Frieden mit Gott, sondern alles mögliche andere. Und wir müssen eine biblische Diagnose des Zustandes des Menschen stellen und den Mut haben, diese Diagnose deutlich und ungeschminkt zu verkündigen, sonst machen wir uns vor Gott und Menschen schuldig.

Benedikt Peters hat eine großartige Biographie über Georg Whitefield geschrieben, diesen wahrscheinlich größten Erweckungsprediger, den wir in den letzen Jahrhunderten hatten. Dort schildert er unter anderem natürlich auch den theologischen Unterschied zwischen Whitefield und Wesley und wie die beiden Freunde und diese beiden wirklich großen Vorbilder, auch für mich, leider in einigen theologischen Fragen große Unterschiede hatten. Und das hat damals die Erweckungsbewegung und die Gläubigen in zwei Lager gespalten. Whitefield hat immer wieder versucht den Kontakt zu Wesley zu halten. Und dann schreibt er eines Tages. Mit anderen Worten sagt er: John, wir haben uns jetzt lange genug gestritten, ob der Mensch einen freien Willen hat, oder nicht, ob er verloren gehen kann, oder ob er ewig sicher ist. Er schreibt dann: Ich hoffe, dass wir voneinander Feuer fangen und in heiligem Eifer darin wetteifern, wer unter uns den Menschen am tiefsten erniedrigt und den Herrn am höchsten erhöht. Das hat er vorgeschlagen, dass der ganze Streit damit beendet werden sollte. Ein Wetteifer, wer von ihnen beiden den Menschen am tiefsten erniedrigen würde und Gott am höchsten erhöhen. Kann man sich das heute in der Evangelisation vorstellen? Kann ich mir vorstellen, dass ich mir Mühe gebe, dass ich wetteifere darum, den Menschen so tief wie möglich zu erniedrigen? Wer tut das schon gerne? Aber der Herr Jesus hat das getan, Paulus hat das in aller Deutlichkeit gepredigt und das ist unser Auftrag, Buße zu Gott zu predigen, dem Menschen deutlich zu machen, dass er vor Gott keinen Wert hat und dass das einzige, was er tun kann, ist, sich vor Gott zu demütigen und anzuerkennen, wie Gott über ihn denkt. Whitefield starb im Alter von 56 Jahren, nachdem er 25 Jahre lang rastlos in England und den USA unterwegs war. Man schätzt, dass er etwa 30.000 Predigten gehalten hat in diesen 25 Jahren. Jetzt können wir ja mal umrechnen, wie viele er am Tag durchschnittlich gehalten hat. Und Gott hat diesen Mann wirklich benutzt um England und Amerika umzukrempeln. Interessant ist, dass er schon zu Lebzeiten gewünscht hat, dass sein Freund und Feind, John Wesley, auf seiner Beerdigung den Nachruf halten soll. Nun ist Whitefield leider in den USA gestorben und beerdigt worden, aber Wesley war in London und hat dann dort eine Trauerfeier zum Gedenken an George Whitefield gehalten, wo Tausende zusammen kamen.

Und ich habe mich unwahrscheinlich gefreut über das Zeugnis, das Wesley über diesen Mann hinterher ausgestellt hat. Er sagt in dieser Ansprache: „Sein grundlegendster Punkt war der, dass er Gott alle Ehre gab über jegliches Gute, das im Menschen sein mochte. Im Werk der Errettung erhöhte er Christus, so hoch er konnte, und erniedrigte den Menschen, so tief er konnte. Sein großer Grundsatz war, dass in der Natur des Menschen keine Kraft und in ihm kein Verdienst ist. Alle Gnade, etwas Richtiges zu denken, zu reden und zu tun, kommt von und aus dem Geist Christi, und alles Verdienst ist im Blut Christi. Es ist im Menschen keine Kraft, ehe sie ihm von oben gegeben wird, auch nur ein gutes Werk zu tun, ein gutes Wort zu sprechen oder ein gutes Begehren zu formen. Denn es genügt nicht zu sagen, alle Menschen seien an der Sünde erkrankt; nein, alle Menschen sind tot in Übertretungen und Sünden. Und wir sind hilflos, sowohl bezüglich der Macht der Sünde als auch der Schuld der Sünde. Denn wie soll ein Reiner aus dem Unreinen kommen? Niemand als der Allmächtige allein vermag das zu tun. Wer kann die auferwecken, die tot sind in ihren Sünden und Übertretungen? Niemand als der, der uns aus dem Staub des Erdbodens zum Leben erweckt hat.“ Und so weiter und so fort. Dieses Zeugnis hat Wesley seinem Freund George Whitefield ausgestellt, nachdem der Whitefield heimgegangen ist: Er hat Gott alle Ehre gegeben und den Menschen so tief wie möglich erniedrigt.

Von wem könnte man das heute sagen? Wenn wir diese Meßlatte an die Verkündigung heute bekannter Evangelisten und auch an unsere eigene Verkündigung legen, dann müssen wir uns alle schämen, denke ich. Erheben wir wirklich Christus so hoch wie wir können? Und erniedrigen wir den Menschen so tief wie möglich? Wir neigen alle dazu, den Menschen doch irgendwie auf ein höheres Niveau zu bringen in unserer Predigt, in unseren Gesprächen, und den Herrn Jesus auf unser Niveau herunter zu ziehen. Luther formuliert in seinen Beweisen zur 28. These, die er damals angeschlagen hat, folgenden Satz: „Die Sünder sind deshalb angenehm, weil sie geliebt werden; sie werden nicht geliebt, weil sie so angenehm sind.“ Ihr kennt wahrscheinlich diesen Satz. Aber das hat man heute völlig vergessen. Mit anderen Worten heißt das, Gott liebt uns nicht, weil wir so wertvoll sind, – obwohl das immer wieder gepredigt wird heute – sondern wir sind wertvoll, weil Gott uns liebt. Das ist unser eigentlicher oder der einzige Wert, Gott liebt uns.

Nun, ich zitiere jetzt mal Ulrich Parzany und möchte gleich betonen, dass ich ihn sehr, sehr schätze, auch wenn er viele Kompromisse macht und fragwürdige Koalitionen eingegangen ist und eingeht. Ich glaube wirklich, dass er einer der begabtesten und eifrigsten Evangelisten im deutschsprachigen Raum ist. Ich kenne ihn eigentlich schon einige Jahrzehnte und habe auch immer wieder Begegnungen mit ihm gehabt, wenn auch nicht sehr intensiv. Ich habe seine Bücher alle gelesen, die meisten davon auch mit ganz großer Freude und Dankbarkeit. Beide haben wir einen geistlichen Vater, Pastor Wilhelm Busch. Er ist ja auch einer seiner Nachfolger geworden, ist sehr geprägt vom Weigle-Haus. Aber jetzt in der ProChrist-Evangelisationen in seinen letzten Predigten, da findet man neben einigen sehr guten Aussagen, auch über Sünde und über die Hölle, die er nicht verschweigt, zum Beispiel folgende Sätze. Das ist aus einer Predigt, ich denke am dritten Abend. Ich habe am Anfang die Theaterszene erwähnt, in der eine junge Frau anklagt. Sie durfte unter dem Druck des Vaters nicht ihr eigenes Leben entdecken und entwickeln. Am Ende dieser Theaterszene (die wurde auf der Evangelisation wohl gespielt) wird die Stimme Gottes hörbar. Zitat: „Mein Kind, ich liebe dich. Du bist begabt und sehr schön und genau so, wie ich dich gewollt habe. Gemeinsam werden wir großartige Dinge tun. Du bist für mich sehr wertvoll.“ Und jetzt Parzany als Kommentar dazu: „Hören sie die Stimme Gottes auch für sich! Sie kommt vom Kreuz. Wenn Sie wissen wollen, dass sie für Gott einen unendlichen Wert haben, dann blicken Sie auf das Kreuz des Herrn Jesus Christus. Da ist es bewiesen: So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab…“ Und so weiter. Nun, auf den ersten Blick werdet ihr sagen: Ja, was wollt ihr denn eigentlich? Der hat doch das Evangelium hiermit deutlich gemacht. Aber was ist die Stimme, die vom Kreuz kommt? Mein Kind, ich liebe dich. Du bist begabt und sehr schön und genau so, wie ich dich gewollt habe. Das ist die Stimme Gottes zu einem Sünder. Ist der Mensch so, wie Gott ihn gewollt hat? Natürlich nicht! Und das wird eben heute leider in der Evangelisation sehr, sehr oft verschwiegen oder nicht deutlich genug herausgestellt.

In einer anderen Predigt sagt er, dass eben durch eine Beziehung zu Gott, in unser Leben totale Sicherheit kommt, ein starkes Selbstwertgefühl: ich bin geliebt. Der ewige Gott hat für mich das größte Opfer gebracht, um mir zu zeigen, wie kostbar ich ihm bin. Ich bin wer. Wir werden innerlich stark, wenn wir uns dem öffnen. Also gerade auch in dieser Predigt ist keine Rede von unserer völligen Verdorbenheit und Verlorenheit, sondern unser Wert wird hier deutlich gemacht und wird noch mal aufgewertet dadurch, dass Christus uns liebt. Ich habe hier zwei Beispiele herausgegriffen. Ich könnte natürlich auch sehr viele positive Zitate von ihm bringen. Ich wollte aber mit diesen Beispielen einfach einmal deutlich machen, wie das leider in unserer Evangelisation heute üblich geworden ist, dass man den Menschen eben in dieser Weise beurteilt und besieht. Zu diesem Thema würde ich gerne auf das Buch von Wolfgang Nestvogel hinweisen: Evangelisation in der Postmoderne, Wie Wahrheit den Pluralismus angreift. Das ist im letzten Hebst (2004) erschienen. Also diejenigen, die sich darüber Gedanken machen möchten oder die sich dafür interessieren, wie gerade unsere Zeit unsere Verkündigung beeinflusst und verändert hat, eben die sogenannte Postmoderne, der wird sehr dankbar für das sein, was er hier in diesem Buch ausführt.

In der Lebensgeschichte von Spurgeon erzählt und schildert er seine Bekehrung. Und das ist so schön, das möchte ich euch vorlesen. Und das macht gleichzeitig deutlich, wie ganz anders wir heute evangelisieren und wie die Menschen auch ganz anders auf das Wort Gottes, auf das Evangelium reagieren. Er ist, glaube ich, im Alter von 16 Jahren, oder 14 Jahren zum Glauben gekommen und er schreibt von sich in einer sehr bildhaften Sprache, die für Spurgeon deutlich ist: „Mein Herz war Brachland, mit Unkraut bedeckt; aber eines Tages kam der große Bräutigam und begann meine Seele zu pflügen. Er kam mit zehn schwarzen Pferden, er benutzte eine scharfe Pflugschar und zog tiefe Furchen. Die schwarzen Pferde, das waren die zehn Gebote, und es war die Gerechtigkeit Gottes, die meinen Geist wie eine Pflugschar aufriss. Ich war verdammt – hoffnungslos, hilflos – ich dachte, ich stünde direkt vor der Hölle. Dann kam eine neue Zeit des Pflügens in eine andere Richtung. Denn als ich das Evangelium zu hören begann, tröstete es mich nicht. Ich wünschte wohl, daran Teil zu haben, aber ich fürchtete, eine solche Gnade komme für mich nicht in Frage. Die auserwähltesten Verheißungen Gottes blickten mich finster an, und seine Drohungen donnerten auf mich herab. Ich betete, fand aber keine Antwort des Friedens. Dieser Zustand hielt lange an. Doch kostbar ist der Wein, der in der Kelter des Überführtwerdens gepresst, rein das Gold, das aus den Minen der Umkehr geborgen wird, und herrlich glänzen jene Perlen, die in den Tiefen der Trübsal gefunden werden. Wenn der Herr uns nicht gedemütigt hätte, hätten wir eine solche tiefe Demut nie kennengelernt. Schon immer haben wir die schärfsten Pfeile aus dem Köcher unserer eigenen Erfahrungen gezogen. Keine Schwerter sind von so gutem Material, wie die, die in dem Feuer seelischer Schwierigkeiten geschmiedet sind.“

Und jetzt kommt’s: „Eine geistliche Erfahrung, die sorgsam durchmischt ist mit dem tiefen und bitteren Geschmack der Sünde, ist für den, der sie hat, von großem Wert. Es ist schwer, sie zu trinken, aber im ganzen späteren Leben wirkt sie heilend. Unsere vielen Evangelisationen machen es den Menschen leicht, Frieden und Freude zu erlangen – ob hier der Grund für die oberflächliche Frömmigkeit liegt, die wir heute überall beobachten? Damit wollen wir über die modernen Bekehrten nicht urteilen; aber wir ziehen jene Form geistlicher Erfahrung vor, die die Seele den Kreuzesweg des Weinens führt und ihr zuerst die eigene Schwärze zeigt, bevor sie ihr versichert, in jeder Hinsicht rein zu sein. Zu viele denken oberflächlich über Sünden und genauso auch über den Erlöser. Wer vor Gott gestanden hat – überführt und verdammt, mit dem Strick um den Hals – ,der wird auch vor Freude weinen, wenn er Vergebung erhält; er wird das Böse hassen, das ihm vergeben wurde, und er wird zur Ehre des Erlösers leben, durch dessen Blut er gereinigt wurde.“ Das finde ich sehr, sehr schön umschrieben. Wer vor Gott gestanden hat, überführt und verdammt, mit dem Strick um den Hals, ja der wird auch vor Freude weinen, wenn er dann die andere Seite des Evangeliums hört, das Wort der Vergebung.

Warum machen wir heute in unseren Evangelisationen, auch in unseren persönlichen Evangelisationen, diese Erfahrung nicht? Vielleicht, weil wir keine Geduld haben, weil wir nicht warten können, weil wir nicht damit rechnen, dass das Wort Gottes wirklich wie ein Same ist, der irgendwann aufgeht und wenn wir viel beten und der Herr Gnade schenkt, dann auch in die Tiefe führt und dann auch Frucht bringt. Wir wollen gerne im Schnellverfahren Bekehrungen haben. Und wie gesagt, ich sage das selbstkritisch auch zu mir. Ich habe vor einer Woche noch eine Evangelisation in Detmold gehabt und ich musste mich immer wieder prüfen: Mensch, im Grunde tue ich ja auch das, was ich in anderen Botschaften verurteile. Und ich möchte auch gerne, dass Menschen sich anschließend bekehren und bin dann natürlich auch heidenfroh, dass auch wirklich einige gekommen sind und sich bekehrt haben. Man hat nicht die Geduld, man hat nicht das Vertrauen, dass Gott das Wort, wenn wir es deutlich predigen, segnen wird. Das Wort Gottes ist der Same der Wiedergeburt, und alles andere können und sollten wir ihm überlassen.

Zum letzten Punkt: Das Wort vom Kreuz. Also ich habe versucht, diesen einen Aspekt der Buße als Teil des Evangeliums euch vorzustellen und euch das wichtig zu machen und ich bitte euch ganz herzlich, darüber doch nachzudenken. Nun möchte ich aber doch schließen mit dem Wort vom Kreuz. Und das schreibt der Apostel Paulus im 2. Korintherbrief sehr schön. Wir kennen alle diese Verse, 2. Korinther 5, 20-21: „So sind wir nun Gesandte für Christus, als ob Gott durch uns ermahnte; wir bitten an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Den, der Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm.“ Beim Nachdenken über dieses Thema, ist mir deutlich geworden, dass wir nicht nur den Zustand des Menschen so deutlich sehen, wie das Neue Testament ihn beschreibt, als verloren, als verdorben, als tot, sondern unser Verständnis und unsere Predigt über das Kreuz Christi ist dadurch auch sehr einseitig geworden. Und das Wort vom Kreuz nimmt auch in unseren Evangelisationen im Allgemeinen nur einen kleinen Raum ein. Natürlich spricht man davon, der Herr Jesus ist für dich gestorben, und man redet von der selbstlosen Liebe Gottes, die im Kreuz Christi deutlich wird, aber meist wird auch die Kreuzigung nur aus Sicht des Menschen geschildert. Achtet mal auf Evangelisationspredigten oder auch auf Predigten über das Kreuz. Was wird hier betont? Was wird deutlich gemacht? Meist doch die Leiden, die der Herr Jesus von Seiten der Menschen erleiden musste.

Und das wird dann in sehr, sehr lebhaften Farben gemalt und damit kann man natürlich die Menschen auch zum Weinen und zur Erschütterung bringen: Die Grausamkeit der Geißelung, der furchtbare Prozess der Kreuzigung, die schrecklichen körperlichen Qualen, der Hohn und Spott der Menschen. Ein Beispiel dafür ist der Film Die Passion Christi. Da wird das ja besonders eindrücklich geschildert. Man hat das also auch vor Augen. Für mich ist das auch grundsätzlich ein Problem, aber das ist ein anderes Thema. Natürlich ist das auch eine Seite des Kreuzes, die wir durchaus predigen können und sollen, das gehört ja zu den Leiden des Herrn. Aber das allein wäre zu wenig. Millionen Menschen aus aller Welt haben diesen Film gesehen. Viele bekannte Evangelisten haben damals gesagt, als der Film anlief: Es wird eine weltweite Erweckung geben aufgrund dieses Films. Es gibt zig Beispiele dafür, wie bekannte Evangelisten riesige Stadien oder Kinos gemietet und kostenlos Eintrittskarten verteilt haben, weil sie davon überzeugt waren, wenn die Menschen diese Bilder von der Geißelung und der Kreuzigung sehen, dann wird sie das dermaßen erschüttern, dass sie gar nicht anders können, als sich zu bekehren. Aber wer redet heute noch über diesen Film? Natürlich waren die Menschen erschüttert, wir haben das ja miterlebt. Und viele junge Geschwister in unserer Versammlung haben vor dem Kino dann versucht Bücher anzubieten und zu verteilen. Und diese haben mir oft erzählt, wie die Menschen nicht mehr fähig waren, auch nur ein Wort zu sagen, so erschüttert waren sie von diesen Eindrücken. Die konnten teilweise gar nicht mehr reden. Die haben mit Dankbarkeit nach diesen Büchern gegriffen.

Solche Filme und auch solche Beschreibungen der Kreuzigung können unsere Gefühle unwahrscheinlich erregen, das allein ist ja auch nicht verkehrt, nur das Entscheidende, was am Kreuz geschehen ist, das kann eben kein Film schildern oder zeigen und das kann auch kein Schauspieler vermitteln. Denn nicht nur die Menschen haben den Herrn Jesus gekreuzigt und sein Blut vergossen, sondern der Herr Jesus selbst hat sein Blut und sein Leben als stellvertretendes Opfer für uns gegeben. Und nicht die körperlichen Qualen, die Menschen ihm zugefügt haben, haben uns mit Gott versöhnt, sondern das, was in drei Stunden der Finsternis am Kreuz geschah. Was die Menschen damals kaum sehen konnten oder gar nicht ahnen konnten, was da am Kreuz geschah, wo Gott praktisch einen Vorhang zieht, um das, was hier geschieht. Und wo wir als Gläubige auch nicht nah hineinsehen können. Es scheint so, als wollte Gott uns sagen, ja das ist wirklich hier ein Geheimnis und das geht in Dimensionen, in die wir nie hier auf der Erde hineinblicken oder auch nur erahnen werden, was da geschehen ist, als Christus für uns zur Sünde gemacht wurde. Dort hat der gerechte Gott unsere Sünden auf den Herrn Jesus gelegt und hat an ihm die Strafe vollzogen, die wir alle verdient haben für jede einzelne Sünde. Die Bibel nennt das Stellvertretung. Eine Wahrheit die in vielen Bildern im Alten Testament vorgestellt wird, in vielen Opfern. Denken wir zum Beispiel an den Sündenbock, 3. Mose 16, der große Versöhnungstag.

Und so macht das Kreuz deutlich, wie schrecklich Sünde in Gottes Augen ist, so dass der Herr Jesus als unser Sündenbock stellvertretend die Strafe für unsere Sünden sühnt. Und so wird am Kreuz die Liebe Gottes auf der einen Seite durch den Herrn Jesus geoffenbart, aber auf der anderen Seite auch seine Gerechtigkeit und Heiligkeit, indem der er Sünde richten muss. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Jede einzelne Sünde meines Lebens hat Gott an Jesus Christus am Kreuz gerichtet. Wir denken oft: Ja da ist irgendwie ein Klumpen Sünde pauschal auf Jesus gelegt worden. Er hat dafür bezahlt, fertig aus, es ist vollbracht. Ich möchte jetzt auch nicht zuviel sagen, ich möchte auch vorsichtig sein, aber wenn ich die Bibel richtig verstehe, hat Gott den Herrn Jesus für jede einzelne meiner Sünden gestraft, hat der Herr Jesus dafür bezahlt, hat er sie gesühnt. Wie das möglich ist, die Millionen Sünden meines Lebens und dann die Millionen von Sünden all derer, die an den Herrn Jesus gläubig geworden sind, das kann ich nicht erklären, das weiß ich nicht. Aber der Herr Jesus war am Kreuz auch der Sohn Gottes, Gott selbst. Und wir werden vielleicht in der Ewigkeit das einmal ansatzweise verstehen lernen, was da wirklich geschehen ist.

Und wer das verstanden hat und begriffen hat, dass Gott jetzt einen gerechten Grund hat, um Sünden zu vergeben, nicht nur weil er Liebe ist und Sünde zudeckt, sondern weil der Herr Jesus meine und deine Schuld am Kreuz bezahlt hat, der hat wirklich erkannt, dass es einen gerechten Grund gegeben hat für Gott, uns mit sich zu versöhnen, dass Rechtfertigung möglich ist, Friede mit Gott möglich ist, weil unser Stellvertreter für uns eingetreten ist. Und das ist das Geheimnis des Kreuzes, das uns in den Briefen des Neuen Testaments vorgestellt wird. Ist es nicht interessant, dass in den Briefen die körperlichen Qualen des Herrn Jesus, so weit ich mich entsinne, kaum oder gar nicht beschrieben werden? Im Hebräerbrief, der von dem Opfer Christi spricht, werden an ganz wenigen Stellen seine körperlichen oder seelischen Nöte beschrieben, aber es wird ganz klar sein Opfer beschrieben, dass er sein Leben gegeben hat. Warum schildern die Evangelisten in den vier Evangelien die Kreuzigung nicht so in diesen blutigen Farben, wie wir das heute in der Verkündigung oft tun und auch in den Filmen? Da wird ganz nüchtern berichtet: Und sie kreuzigten ihn daselbst. Es würde doch viel mehr Eindruck machen, wenn die Kreuzigung in allen Einzelheiten geschildert würde. Wir finden im Alten Testament Hinweise auf die Gefühle des Herrn am Kreuz, natürlich, aber der Bericht ist sehr sachlich. Aber die drei Stunden der Finsternis werden von zwei oder drei Evangelisten sehr betont, was er dort gesprochen hat, wie es dunkel wurde, was die Folgen waren, die Felsen zerrissen, der Vorhang im Tempel riss von oben nach unten entzwei, verstorbene Heilige standen auf und dergleichen mehr.

Und das, meine ich, sollte auch der Inhalt unserer Predigt sein, das Wort vom Kreuz. Wir wollen die körperlichen Leiden des Herrn nicht verschweigen, die Reaktion der Menschen auf die Liebe Gottes: Weg mit ihm! Ans Kreuz mit ihm!, aber bitte vergesst nicht die Hauptsache des Kreuzes: Dort starb der Reine stellvertretend für uns Unreine. Das müssen wir deutlich machen, viele Bilder des Alten Testamentes benutzen. Und wenn man das einmal verstanden hat, ja das ist wirklich Evangelium für jemanden, der weiß: Ich bin verloren, ich bin ein Sünder, ich kann vor Gott, so wie ich bin, nicht erscheinen.

Mir ist aufgefallen, dass in vielen evangelistischen Vorträgen und Büchern ein Zusammenhang deutlich wird. Autoren und Verkündiger, die die völlige Verdorbenheit des Menschen verschweigen oder sehr wenig betonen, verwässern meist auch den Kern des Evangeliums, die Stellvertretung und Versöhnung durch das Opfer des Herrn Jesus am Kreuz. Denn durch das Kreuz und unter dem Kreuz wird beides deutlich. Einmal wie der Mensch ist, nämlich völlig verdorben, bösartig, völlig verloren und auf der anderen Seite natürlich wie Gott ist, seine Liebe, seine Heiligkeit und seine Gerechtigkeit. Und nur derjenige, der beides möglichst tief erfahren hat, und dem Gott in seiner Gnade die Augen und das Herz geöffnet hat, der einen Blick in die finstere, stinkende Kloake seines eigenen Herzens getan hat, aber der dann auch seinen Blick auf das Herz Gottes richten konnte, wird in der Lage sein, das Evangelium dankbar, mutig, freudig und auch vollmächtig zu verkündigen. Und das sage ich mir selbst und das möchte ich euch auch sagen. Und ich bete und bitte, dass der Herr Jesus uns das durch sein Wort, durch seinen Geist, ganz neu deutlich macht, wer wir sind und wer Gott ist und was dort am Kreuz für uns geschehen ist. Das ist das, was ich auf dem Herzen hatte zu sagen. Vielen Dank für euer Zuhören.